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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer
Autoren: Ella Danz
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voll harter Arbeit, nicht enden wollenden Diskussionen mit Architekten und Handwerkern, vielen schlaflosen Nächten und einem sich teuflisch schnell verkleinernden Kontostand, hatten Anna und Yann voller Stolz die Türen zu ihrem Restaurant ›Villa Floric‹ geöffnet und die ersten Gäste begrüßt. Im ersten Jahr konnten sie sich über mangelnden Zuspruch wahrlich nicht beklagen. Viele Feinschmecker in Lübeck und Umgebung schienen nur auf ein neues Ziel für ihre kulinarischen Wallfahrten gewartet zu haben und pilgerten scharenweise in die roséfarbene Villa hoch über dem Meer. Doch eine ebenso große Anzahl von Gästen wollte wohl nur ihre Neugierde befriedigen und mitreden können, war aber von den Kreationen der Küche im ›Floric‹ überfordert und ebenso wenig bereit, dafür den angemessenen Preis zu bezahlen.
    Ja, ja – die Menschen hier waren nicht so leicht zu überzeugen. Jede Münze, die sie ausgaben, drehten sie dreimal um und zwar gerade die Pfeffersäcke, die es sich eigentlich leisten konnten. Sie hatten mindestens so harte Dickschädel wie die Bretonen und ein tief sitzendes Misstrauen gegen alles Neue und Unbekannte, ob es sich dabei um Personen, Moden oder Speisen handelte. »Wat de Buer nich kennt, fret he nich!«, hatte ihre Mutter sie schon gelehrt und die musste es wissen, schließlich stammte sie von hier oben. Im Gegensatz zu den Norddeutschen waren aber die Bretonen – auch wenn sie es nicht wahrhaben wollten – den Franzosen sehr ähnlich und hatten das typische Savoir-vivre im Laufe der Jahrhunderte genauso wie ihre Landsleute in den anderen Provinzen verinnerlicht. Nicht zuletzt deswegen war Annas Mutter nach einem Au-pair-Aufenthalt von der Bretagne nicht wieder losgekommen. Und natürlich wegen ihres Vaters.
    Hals über Kopf musste sie sich damals in ihn verliebt haben. Und er sich in sie. Er war ein großer, gut aussehender Mann mit seinen dunklen, dichten Haaren und den braunen Augen, ein Witwer, dem man die 25 Jahre, die er älter war als sie, nicht ansah. Er konnte unwahrscheinlich charmant sein und nannte drei schon fast erwachsene Jungs sein Eigen. Es war nicht leicht für die junge Deutsche, nach ihrer Heirat mit den großen Stiefsöhnen klarzukommen und das Vertrauen ihrer Umgebung zu gewinnen. Doch Annas Mutter war eine furchtlose Frau, ehrlich und klar, die einfach ihren Gefühlen folgte und dadurch letztlich jeden für sich einnahm. Anna war 17, als ihre Mutter, die doch überhaupt noch nicht alt war, voller Energie steckte und immer so vital wirkte, an einem zu spät erkannten Krebsleiden starb. Dass Anna der geliebten Mutter an Spontaneität und Geradlinigkeit in nichts nachstand, auch nicht an unbeugsamem Willen, hatte sie ihrer Umgebung schon seit Kindertagen klar gemacht. Und nach dem Tod der Mutter, mit dem ihr Vater noch weniger fertig wurde als sie, als Anna spürte, dass sie ihr Leben nun selbst in die Hand nehmen musste und in ihrer Gefühlswelt ein großes Loch klaffte, verliebte auch sie sich Hals über Kopf. Kompromisslos.
     
    »Maman! J’ai faim!«, hallte es durch den Flur. Die Tonlage signalisierte dringenden Handlungsbedarf. Eilige Schritte, Hundegebell und gleich darauf schob sich ein dunkler Lockenkopf durch die geöffnete Tür, während der weißgraue Bobtail auf Anna zustürzte, um dann um Anerkennung hechelnd vor ihr sitzen zu bleiben.
    »Braver Hund, Napoléon!«, kraulte sie das Tier hinter den Ohren. »Und du, mon petit nounours! Bist du am Verhungern? Da müssen wir ja ganz schnell etwas dagegen tun.«
    Ehe seine Mutter ihn mit weiteren Peinlichkeiten wie ›kleines Bärchen‹ bloßstellen konnte, rief der Junge hastig:
    »Und Jakob hat auch Hunger!«
    Schon erschien der Kopf des Freundes im Türrahmen, die Wangen vom Toben gerötet, das weißblonde Haar zerzaust, und schaute erwartungsvoll zu Anna.
    »Was wünschen Sie denn zu speisen, Messieurs?«
    »Galettes!«, kam die Antwort zweistimmig und wie aus der Pistole geschossen.
    »Das lässt sich wohl machen.«
    Dankbar für die Unterbrechung der ihr ohnehin lästigen Beschäftigung legte Anna die Rechnungen zurück in den Korb und erhob sich vom Schreibtisch.
    »Verschieben wir es auf morgen!«, sagte sie fröhlich zu den Jungen und hakte einen rechts, einen links unter. Mit einer Mischung aus Bedauern und Belustigung registrierte Anna, dass die Jungen sich kaum merklich gegen diese Berührung sträubten. Die unbeschwerten Kindertage waren endgültig vorbei und allzu große körperliche
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