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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer
Autoren: Ella Danz
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Nähe oder gar Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit eigentlich nicht mehr erwünscht. Wie die beiden schon wieder gewachsen waren! Es fehlte nicht mehr viel und sie würden sie überragen. Sie musste allerdings zugeben, dass es angesichts ihrer Größe von eins zweiundsechzig nichts Außergewöhnliches war, überragt zu werden. Klein, wie sie war, wenn auch ein bisschen rundlich, die blonden, lockigen Haare zu einem lustigen Pferdeschwanz gebunden, in Jeans und Sweatshirt, hätte man Anna auch für die große Schwester der beiden halten können. Jakob war immerhin schon 13 Jahre alt, aber Lionel gerade erst 12 geworden und fast schon ebenso groß. Nicht nur, was das anbetraf, wurde Lionel seinem Vater immer ähnlicher.
    »Machst du uns wieder Schinken und Käse auf die Pfannkuchen?«
    Jakob sah sie gespannt von der Seite an und stolperte, wie so oft, über seine offenen Schnürsenkel. Ebenso wie diese immer offen waren, schien der Junge auch immer hungrig zu sein und wusste sehr genau, was ihm schmeckte. Seine Mutter Frauke war eine offene, freundliche Person und, neben ihrer Tante Edith, Annas beste Freundin, mit der sie reden, lachen und bei der sie sich ausheulen konnte. All dies freilich viel zu selten, da sie beide wenig Zeit hatten. Doch vom Kochen hatte Frauke keine Ahnung. Sie gab auch offen zu, dass sie daran nichts weiter interessierte, als dass es möglichst wenig Aufwand kostete. Ihr Beruf als Ärztin im Krankenhaus ließ ihr ohnehin nicht viel Zeit für Häuslichkeiten.
    »Klar, Jakob, kein Problem.«
    Wenns weiter nichts war! Anna erfüllte dem Jungen gerne seinen Wunsch. Sie war froh, dass er und Lionel sich so gut verstanden. Für Lionel war es anfangs nicht leicht gewesen, sich in dem fremden Land und in der anderen Sprache zurechtzufinden. Seine Deutschkenntnisse waren nicht sehr gut und ihm fehlten die Freunde, die er in seiner bretonischen Heimat zurücklassen musste. Jakob war ein kräftiger Kerl, etwas ungelenk und ein wenig langsam im Begreifen, aber sehr gutmütig und mit einer unerschöpflichen Fantasie begabt, was das Erfinden ihrer Spielwelten anbetraf. Lionel und er waren ein wunderbares Gespann. Sie langweilten sich nie, die einfachsten Dinge dienten als Spielzeuge und sie waren stundenlang nicht zu hören und zu sehen, wenn sie wieder einmal an einem großen Projekt arbeiteten. Zurzeit hatten sie Ferien und da immer noch nicht das ersehnte Strandwetter herrschte, bauten sie im Wäldchen hinter der Villa an einer ›Weltraumburg‹ – was auch immer das sein mochte, es nahm sie ganz in Anspruch und nur ein Anfall von Hunger trieb sie dann ins Haus.
     
    Die beiden Jungen saßen an dem langen, glatten Holztisch, der fast eine ganze Seite der Restaurantküche einnahm, und stürzten sich mit Heißhunger auf die Buchweizenpfannkuchen, die Anna in einer schweren, alten Eisenpfanne im Akkord für sie buk. Fast immer war eine Schüssel Teig für diese bretonische Spezialität vorrätig, denn er sollte vor dem Zubereiten mindestens einige Stunden geruht haben und winzige Galettes pflegte man in der ›Villa Floric‹ mit Räucherlachs und Dillsahne auch als Amuse-Gueule für die Gäste zu servieren. Sobald von dem heißen Schweineschmalz leichter Rauch aufstieg, goss Anna einen Schöpflöffel der dünnflüssigen Mischung aus Mehl und Milch in die Pfanne und sofort begann es knisternd zu brutzeln und köstlich zu duften. Lionel und sein Freund liebten eine deftige Variation und so legte Anna eine Scheibe Schinken auf den mit Butter bestrichenen Pfannkuchen, bestreute ihn mit geriebenem Käse, klappte ihn zusammen und ließ ihn noch eine Minute backen. Schon hielt Jakob ihr wieder seinen geleerten Teller entgegen und mit Freude sah sie zu, wie er sich ein dickes Stück des herzhaften Pfannkuchens, mit zartrosa Schinken und golden geschmolzenem Käse gefüllt, auf seine Gabel lud – und nicht einmal mehr nach Ketchup verlangte, wie am Beginn ihrer Bekanntschaft.
    Die geräumige Profiküche, die förmlich nach Sauberkeit duftete, beherrscht von dem mächtigen Herd in der Mitte, in der die blanken Gerätschaften von der Decke hingen und aus Regalen blinkten, war dank ihrer drei großen Fenster ein heller, freundlicher Raum. Die gefliesten Wände und die Decke strahlten in reinstem Weiß, das nur durch eine Keramikreihe mit Blumenornamenten in Augenhöhe unterbrochen wurde, die den Blauton des ebenmäßigen Fliesenbodens aufnahm. In einer durch ein Regal voller Kochutensilien abgetrennten Nische
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