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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer
Autoren: Ella Danz
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wäre sie auf die Idee gekommen, die drei, vier ehemaligen Kollegen und Kolleginnen, denen sie an Weihnachten Karten sandte, in ihre neue Heimat einzuladen. Deshalb hatte sie auch lange gezögert, als Frau Geyer aus der Buchhaltung – inzwischen ebenfalls im Ruhestand – bei ihr anrief, um zu fragen, ob es nicht nett wäre, wenn sie für ein verlängertes Wochenende zu ihr nach Timmendorf käme.
    Schließlich hatte der Stolz auf ihr neues, elegantes Leben gesiegt und sie sagte zu. Bestimmt würde die Geyer mächtig beeindruckt sein. Allerdings verwahrte sie sich dagegen, dass sie auch bei ihr nächtigte – so eng waren sie nun doch nicht miteinander – und empfahl ihr ein kleines Hotel in der Nachbarschaft. Dorothea empfing ihre alte Kollegin nach deren Ankunft am Freitagnachmittag zum Tee. Leider war es zu windig, um auf der Terrasse zu sitzen und so hatte sie den Tisch vor der großen Panoramascheibe gedeckt, die sie wöchentlich putzte und wie erwartet erging sich Frau Geyer in verzückten Ausführungen über die Lage, die Größe und die Noblesse von Dorotheas Domizil.
    Als es mit den Komplimenten vorbei war, folgte bei Dorothea die Ernüchterung und sie musste feststellen, dass Frau Geyer noch genauso übergewichtig und laut wie eh und je war. Mit großem Appetit verschlang sie die teuren Tortenstückchen, die Dorothea ausnahmsweise und nur für den Besuch besorgt hatte und versuchte, ihrer Gastgeberin klar zu machen, dass sie selbst viel lieber im Süden ihren Lebensabend verbringen wollte.
    »Mein Rudi und ich, wir wollen uns ein Appartement auf Mallorca kaufen.«
    Sie sprach das Wort ›Appartemang‹ und Rudi war ihr schrecklicher Mann, ein öliger Pharmareferent. Dass sie überhaupt einen Mann hatte, bei dieser Figur und dem ungezügelten Appetit, war Dorothea sowieso ein Rätsel, auch ihre Art, sich zu kleiden, hatte mit ihrem eigenen Stil einer schlichten, sportlichen Eleganz nichts gemein. Sie beschloss, den Großteil des Wochenendes mit der Kollegin an der frischen Luft zu verbringen. Schließlich wollte sie ja die Gegend kennenlernen und vielleicht würde sie dann nicht so viel reden. Jetzt folgte erst einmal eine weitere Peinlichkeit und bevor Dorothea Paschke protestieren konnte, hatte Frau Geyer die als Geschenk überreichte Likörflasche geöffnet, zwei Gläser aus dem Regal gegriffen und das ›Du‹ angeboten.
    »Ich bin die Ute.«
    »Dorothea«, sagte Dorothea Paschke überrumpelt.
    »Ich werde dich Dodo nennen, so wie unser Doktorchen immer!«, und schon hatte Dorothea zwei feuchte Küsschen auf den Wangen.
     
    Missmutig schlenderte Dorothea den Strand entlang. Pünktlich zu Frau Geyers Ankunft hatte sich das Wetter noch weiter verschlechtert, die Sonne ließ sich selten blicken und ein kräftiger, kalter Wind trieb dunkle Wolkenwände vor sich her, aus denen es hin und wieder regnete. Die Farbe des Meeres schwankte zwischen dunkelgrün und schmutzigbraun. Die Folge waren sich häufende Hinweise auf das mallorquinische Klima, das Ute und Rudi ja so glänzend bekam. Aber außer dass sie ihren neuen Badeanzug nicht würde tragen können, bedauerte Ute Geyer nicht ihr Kommen und auch die langen Spaziergänge schienen ihr nicht das Geringste auszumachen. Dorothea hatte sie am Sonnabendmorgen den mehrere Kilometer langen Weg am Steilufer nach Travemünde geführt, der mal oben auf der Höhe, mal unten am Wasser lief und vorgeschlagen, retour den Bus zu nehmen. Doch nach einem kräftigen Imbiss im Café an der Promenade in Travemünde – Ute hatte ein Bauernfrühstück und ein Stück Lübecker Marzipantorte, Dorothea ein Krabbensüppchen – fühlte Ute sich so gestärkt, dass sie auch den Rückweg zu Fuß machen wollte.
    Dorothea zog die Kapuze ihres cremefarbenen Anoraks enger an den Kopf. Die dezenten braunen Streifen an den Ärmeln korrespondierten perfekt mit der Farbe ihrer sportlichen Wildlederschuhe und dem helleren Braun der schmal geschnittenen Hose. Ute lief durch den Sprühregen voraus, ihre orangefarbene Regenjacke leuchtete durch das Grau. Sie bückte sich hier nach einem Stein, sammelte dort eine Muschel ein und redete unentwegt. Durch Wind und Brandung verstand Dorothea kaum ein Wort und das war ihr nur recht.
    »Dodo!«
    Wie peinlich, mit diesem komischen Namen gerufen zu werden! Doch angesichts des Wetters war kaum jemand am Strand und schon gar nicht in Hörweite, der sich darüber hätte mokieren können. Ute balancierte auf einer aus großen Findlingen ins Meer gebauten
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