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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer
Autoren: Ella Danz
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mal! Anna Floric hat ihm die Kette mit dem Medaillon geschenkt? Wann war das?«
    »Das war im Oktober.«
    Die Polizisten sahen sich an und Jansen fragte:
    »Rachid Messaoudi war im Oktober schon mal hier?«
    Yann Tanguy schüttelte ungeduldig den Kopf, als ob er es mit unverständigen Kindern zu tun hätte.
    »Nicht Rachid.«
    Angermüller und Jansen begannen zu ahnen, dass es mit dem Medaillon seine ganz eigene Bewandtnis hatte.
    »Das müssen Sie uns schon etwas genauer erklären, Herr Tanguy!«
    Der Angesprochene sah Angermüller gedankenverloren an und sagte dann mehr zu sich selbst:
    »Toute l’histoire, alors. Sie wollen die ganze Geschichte hören.«
    »Wir müssen die ganze Geschichte hören«, bestätigte Angermüller mit Nachdruck.
    Yann Tanguy wandte sein Gesicht zum Fenster, von dem aus man die Vielzahl der Dächer im Grün von St. Jürgen und dahinter den glitzernden Bogen der Wakenitz sehen konnte. Er nahm nichts davon wahr. Sein Blick ging nach innen, er tauchte ein in die Vergangenheit, in eine stürmische Herbstnacht in der Bretagne vor 12 Jahren.
     
    Das Maß war voll. Lange genug hatte er dieses Gesicht ertragen, dessen charmantes und gleichzeitig freches Lächeln alle Welt oder zumindest einen großen Teil davon sofort zu verzaubern schien. Dieser Mensch war hier einfach aufgetaucht, hatte alle Widerstände, die ihn am Bleiben hindern wollten, beiseitegeräumt und war geblieben. Ja, er war inzwischen so weit in seine Lebenskreise eingedrungen, dass sein Alltag ohne ihn nicht mehr denkbar war, und was das Allerschlimmste war, er hatte ihm dabei einfach so das genommen, was ihm das Liebste auf der Welt gewesen war. Nur dafür war er bereit gewesen, eine Menge auf sich zu nehmen, doch auch seine Leidensfähigkeit hatte ihre Grenze. Er sah nach hinten, wo im Cockpit seine in eine Decke gewickelte und wie ein Paket verschnürte Fracht lag. Nie wieder würde er dieses verdammte Lächeln ertragen müssen.
    Anna war die Liebe seines Lebens. Bald nachdem er mit knapp 20 von der Hotelfachschule ins Hotel ihrer Eltern in den kleinen Küstenort in der Bretagne gekommen war, gehörte er mit zur Familie. Anna war erst 12, aber schon damals mit dem Charme und der Ernsthaftigkeit behaftet, die sie noch heute auszeichneten. Er hatte Zeit, er wartete – Hauptsache, er war ihr nah. Doch als Anna 17 war, da kam er. Said erschien auf der Bildfläche und für Anna gab es nur noch ihn. Yanns Traum zerplatzte wie eine Seifenblase. Er litt wie ein Hund. Als sie dann auch noch schwanger wurde, musste er einfach handeln. Er musste Anna von diesem Kerl befreien, dem die Herzen zuflogen, der immer fröhlich war, der immer lachte und ihn auslachte. Also handelte er.
    Als er den Schutz des Kaps verlassen hatte, bekam er die volle Kraft des Windes zu spüren und die Regentropfen wehten ihm direkt von vorne ins Gesicht. Immer wenn die schnell dahinziehenden Wolken den Mond kurz freigaben, zeigte das fahle Licht eine aufgewühlte See. Der Schleppverband aus Motorsegler und dem kleinen Kajütboot fuhr genau gegen die Welle. Mit einem dumpfen Geräusch knallten die Schiffsrümpfe in jedem Wellental auf das dunkle Wasser und das angehängte kleine Boot vollführte wilde Tänze. Er sah auf die Uhr. Noch 10 Minuten würde er weiter in Richtung offenes Meer steuern, das müsste genügen.
    Es war kurz nach Mitternacht, als er müde und erschöpft wieder Kurs auf die Küste nahm. Wie immer, wenn er die Lichter des kleinen Hafens vor sich auftauchen sah, überkam ihn ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit und heute war dieses Glücksgefühl kaum zu beschreiben. Es war trotz des rauen Wetters viel einfacher gewesen, sich des toten Körpers und des Kajütbootes zu entledigen, als er befürchtet hatte. Und jetzt war der Weg frei! Die Zukunft lag verheißungsvoll vor ihm und er hatte Zeit, viel Zeit, die Dinge sich entwickeln zu lassen, wie er es sich von jeher erträumt hatte.
    Verständnisvoll und geduldig stand er der trauernden Anna bei. Er kümmerte sich während der Schwangerschaft um sie und auch später, als das Kind da war. Er war immer für die beiden da und ging schließlich mit nach Deutschland. Und endlich, endlich – nach all den Jahren schien sie nun seine Gefühle zu erwidern.
     
    Yann Tanguy war wieder in der Gegenwart angekommen. Ratlos hob er die Schultern.
    »Was hätte ich tun sollen? Da taucht dieser Bursche hier einfach so auf, mit dem gleichen Gesicht, dem gleichen Lachen. Alle meine Träume wurden damals – poff
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