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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer
Autoren: Ella Danz
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seiner Jacht eindeutige Beweise gefunden.«
    Anna Floric sah ihn gequält an.
    »Warum? Warum soll er ihn umgebracht haben?«
    »Das wissen wir noch nicht genau. Aber wir werden es herausfinden.«
    Die junge Frau in ihrem Sessel wirkte wie betäubt.
    »Sollen wir Ihnen jemanden schicken, der sich um Sie kümmert oder gibt es vielleicht jemanden in Ihrem Freundeskreis?«
    »Frauke, ich muss Frauke anrufen.«
    Anna Floric stand unter Schock, das war deutlich zu sehen. Die Erinnerungen, die mit dem Bild des Toten am Nachmittag lebendig geworden waren, hatten sie bereits in große Verwirrung gestürzt und nun wurde Yann Tanguy verhaftet, weil er unter Verdacht stand, den Bruder ihres verschollenen Lebenspartners ermordet zu haben. Das Wenigste, was Angermüller in diesem Augenblick für sie tun konnte, war, zu warten. Frauke wollte sich sofort ins Auto setzen und kommen.
    »Frau Floric, wir werden auch mit Ihnen noch einmal sprechen müssen – wenn es Ihnen wieder besser geht. Und wenn es etwas gibt, dass für Sie von Interesse ist, werden wir Sie sofort informieren – das verspreche ich Ihnen!«
    Dann blieben sie stumm sitzen und warteten auf Anna Florics Freundin. Da war nichts, was Angermüller hätte tun oder sagen können, um die junge Frau zu trösten.

16
    In den Fluren des Behördenhochhauses in der Possehlstraße war es still. Es war früher Sonntagabend und die Mehrheit der Kollegen befand sich in der wohlverdienten Wochenendpause. Die dunklen Wolken hatten sich verzogen und über Lübeck schien wieder die Sonne. In dem schlichten Raum, der ihre engen Büros miteinander verband und in dem es bis auf einen großen Schreibtisch und ein paar Aktenschränke kein Mobiliar gab, saß auf einem Stuhl Yann Tanguy, ihm gegenüber Angermüller und Jansen.
    Während der Fahrt von der ›Villa Floric‹ in die Bezirkskriminalinspektion hatten die beiden Kommissare kaum ein Wort gewechselt. In dem Streifenwagen vor ihnen saß der Festgenommene. Innerhalb eines Tages – ja, Nachmittages – seit der Entdeckung des Päckchens unter der Treppenstufe der Segeljacht, hatte ihr Fall eine dramatische Wendung genommen und eine ganz eigene Dynamik entwickelt.
    Vorsichtig hatte Jansen die Plastiktüte auseinandergefaltet und das Erste, was gleich heraus fiel, war eine silberne Kette mit einem Medaillon. Sie war an einer Stelle gerissen, aber jemand hatte sie wieder zusammengeknotet. ›Said – pour toujours – Anna‹ stand darauf und als Jansen den Deckel aufklappte, fand sich darin ein Foto, etwas verwittert, aber immer noch erkennbar. Es war die verkleinerte Version der Aufnahme von Said und Anna Floric, die vor 12 Jahren in Quimper entstanden war. Dann kam eine kleinere Plastiktüte zum Vorschein und in dieser fand sich, fein säuberlich verpackt, eine Brieftasche, ein Brief ohne Umschlag und ein algerischer Pass – ausgestellt auf den Namen Rachid Messaoudi. Die Brieftasche enthielt etwas über 100 Euro in kleinen Scheinen, eine einfache Bahnfahrkarte der SNCF von Brest über Paris nach Frankfurt, ausgestellt vor zwei Wochen, einige Quittungen und benutzte Fahrscheine, einen Zettel mit Telefonnummern, der Vorwahl nach die meisten davon aus Frankreich, und ein Stück Papier auf dem handschriftlich die Adresse der ›Villa Floric‹ notiert war.
    Der Brief war auf Französisch, geschrieben im Mai vor 11  Jahren. Angermüllers Sprachkenntnisse reichten nicht aus, um seinen Inhalt exakt zu übersetzen. Aber die Unterschrift Anna Florics war deutlich lesbar und er verstand zumindest so viel, dass sie darin die Geburt ihres Sohnes Lionel mitteilte und ihre Trauer darüber, Said verloren zu haben. Der Brief war wohl an dessen Familie in Algerien gerichtet.
    Sowohl Angermüller als auch Jansen sahen der Vernehmung von Yann Tanguy mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits natürlich mit der Hoffnung, endlich Gewissheit zu erlangen und ihren Fall lösen zu können und andererseits mit der Frage, wie sich das Verhör wohl gestalten würde. Nie konnte man vorher einschätzen, wie sich ein Mensch in so einer Situation verhielt. Manche schwiegen einfach, sagten keine Silbe. Andere leugneten hartnäckig und waren durch nichts einzuschüchtern. Dieser Priewe zum Beispiel war so eine harte Nuss gewesen. Manche heulten los oder brüllten, fühlten sich ungerecht behandelt und beteuerten ihre Unschuld.
    Ihre Bedenken erwiesen sich bei Yann Tanguy als unbegründet. Jansen drückte auf den Knopf des Aufnahmegerätes, nannte Datum,
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