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Steilufer

Steilufer

Titel: Steilufer
Autoren: Ella Danz
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Bank zu vereinbaren – die Hoffnung auf eine gute Saison würde bestimmt zur Stärkung ihrer Selbstsicherheit in den Verhandlungen beitragen.
    »Und sollte es wider Erwarten ganz schlecht laufen, haben wir für alle Fälle ja immer noch meine Lebensversicherung in der Hinterhand«, fügte Yann mit einem verschmitzten Grinsen hinzu und ließ Anna keine Gelegenheit zur Widerrede.
     
    Zumindest für diesen Abend behielt Yann mit seiner Ankündigung einer Supersaison recht. Bereits um 19 Uhr war die ›Villa Floric‹ bis auf den letzten Platz besetzt und Yann, der am Abend für Rezeption und Bar zuständig war, musste viele enttäuschte Besucher abweisen. Zu Beginn ihrer Zeit in Schleswig-Holstein hatte dieses frühe Eintreffen der Gäste Anna und ihren Partner, die an französische Gepflogenheiten gewöhnt waren, noch etwas irritiert. Doch sie hatten sich schnell darauf eingestellt. Wie so oft hatte sich jetzt zum Abend die Sonne durch die dunklen Wolkenwände gekämpft und tauchte die Landschaft vor den großen Fenstern des ehemaligen Wintergartens in ein unwirkliches, golden getöntes Licht. Hier im Norden ließ die Dämmerung sich im Sommer besonders viel Zeit. Wenn es schon nicht möglich war, im Freien auf der Terrasse zu servieren, so konnte man hier wenigstens hinter Glas den grandiosen Ausblick genießen und zwischen Orangen- und Lorbeerbäumchen speisen, die in Terrakottakübel gepflanzt den Raum zierten.
    Immer noch erfüllte der Anblick der liebevoll hergerichteten Räumlichkeiten Anna mit Freude und Stolz. Sie würde nie all die Mühe, den Ärger und die Sorgen vergessen, die der Umbau bereitet hatte, doch sie würde das alles jederzeit noch einmal auf sich nehmen. Der Besucher betrat die ›Villa Floric‹ durch einen hallenartigen Raum, in dem die Rezeption und die Bar mit einer kleinen Lounge untergebracht waren. Hier herrschten Schwarz und Weiß und viel Spiegelglas vor und erinnerten zusammen mit organisch anmutenden Formen diskret an die Jugendstilvergangenheit des Hauses. Im Hintergrund führte eine Treppe in das obere Stockwerk, wo sich die Privaträume und auch Annas Büro befanden. Linker Hand lag das lichte, geräumige Restaurant mit dem ehemaligen Wintergarten und rechts, hinter der Lounge, gelangte man in die sogenannte Bibliothek. Um einige wenige Tische waren antike Sitzmöbel verschiedener Epochen gruppiert und wo sie an einer freien Wand standen, gab es auch Kanapees. Gefüllte Bücherregale und ein üppig verzierter Kamin rundeten den Eindruck gediegener Gemütlichkeit ab.
    Leise Gespräche, sanftes Gläserklirren und der dezente Ton, wenn wohlerzogene Hände mit Besteck den feinen Speisen auf den Tellern zu Leibe rückten, erfüllten den Raum. Mit unnachahmlicher Grazie bewegte sich Djaffar zwischen den weiß gedeckten Tischen, lauschte freundlich und geduldig den Wünschen der Gäste und dirigierte unauffällig seine drei Kolleginnen und Kollegen dorthin, wo Bedarf war. In seinem dunklen Anzug und dem blendend weißen Hemd, das seinen olivfarbenen Teint noch dunkler erscheinen ließ, war der algerische Chefkellner eine wirklich beeindruckende Erscheinung, der mit seinem natürlichen Charme jeden auch noch so anspruchsvollen Gast zufriedenzustellen wusste.
    Immer wieder geriet Anna ins Staunen, wenn sie daran dachte, was für einen Djaffar sie drei Jahre zuvor kennengelernt hatte: einen schüchternen, verunsicherten, ziemlich abgemagerten Mann, dessen beherrschendes Lebensthema die Angst war. Die Angst vor den schrecklichen Bildern seiner Vergangenheit, die Angst vor dem fremden, kalten Land und schließlich die Angst vor der Abschiebung in seine Heimat, die er zwar einerseits schmerzlich vermisste, aber andererseits fürchtete wegen der Metzeleien, die dort an der Tagesordnung waren, sei es durch islamische Fanatiker, die Armee oder Terroristen jedweder Gesinnung. Wer sich nicht zu den einen oder anderen bekennen wollte, war in Gefahr. Die Bedrohung war unberechenbar, man musste um Leib und Leben fürchten. Deshalb war er nach Deutschland gekommen, wo er, wie alle Flüchtlinge, in den ersten Monaten nur kaserniert und kontrolliert leben durfte. Dank des für alle Asylbewerber geltenden Arbeitsverbots zu Beginn seines Aufenthalts war er zur Untätigkeit gezwungen, wurde verfolgt von den Schreckensbildern in seinem Kopf und spürte dann noch die Ablehnung, ja den Hass, der ihm von vielen Menschen in seinem Gastgeberland entgegenschlug. Sie hielten ihn für einen Schmarotzer, der sich auf
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