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Stehaufmaennchen

Stehaufmaennchen

Titel: Stehaufmaennchen
Autoren: Markus Maria Profitlich
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Herzstillstand). Als sie bemerkt, dass ich kreidebleich bin,diagnostiziert sie einen akuten, sehr schweren Anfall von Bauklötzchenverlustangst und drückt mir eilig ein paar Bauklötzchen in die Hand.
8. August 1991
    Schlafe überhaupt nicht mehr. Mein Körper fühlt sich an, als ob er nicht zu mir gehört. Eigentlich hab ich keine Lust mehr auf Therapie. Mir bringt es nix, aber meine Therapeutin ist immer total aus dem Häuschen, wenn sie mich sieht. Mein Fall sei absolut einzigartig und ich soll mich auf eine langjährige Therapie einstellen. Mindestens acht Jahre, schätzt sie überglücklich. Schön, dass ich Sonne in ihr Leben gebracht habe. Heute wollen wir bis ganz zurück in meine pränatale Phase. Frage sie, ob Embryo reicht oder ob ich noch weiter zurück soll. Frau Nelle-Distel schaut mich nachdenklich an. Soll sie denken, was sie will. Mir ist das alles egal. Ich hab in der nächsten Woche Prüfung.
15. August 1991
    Prüfungstag. Körper aus Gummi. Finger auch. Kann ncht mer shreibn. UUuuuuu...
16. August 1991
    BESTANDEN! Die Prüfung war ein Klacks! Fühle mich wie neugeboren. Konnte schlafen wie ein Baby! Die ganze Nacht. Die Angst ist wie weggeblasen. Das Wort »Prüfung« löst keinen Schweißausbruch mehr aus. Ich kann es zehn Mal schreiben, ohne dass ich mich verkrampfe! Prüfung, Prüfung, Prüfung, Prüfung, Prüfung, Prüfung, Prüfung, Prüfung, Prüfung, Prüfung! Wunderbar!
    Am Nachmittag suche ich glücklich meine Therapeutin auf, um ihr mitzuteilen, dass ich ihre Hilfe nicht mehr benötige. Ich sei geheilt. Frau Nelle-Distel ist fassungslos. Sie hätte sicheigentlich schon auf die langjährige Zusammenarbeit gefreut, und das würde sie ja jetzt total zurückwerfen, auch wegen der Prüfung zur Gestalttherapeutin. Und sie wüsste überhaupt nicht, wie es jetzt weitergehen soll, denn sie hätte ja fest mit mir gerechnet, und überhaupt sei das eine entsetzliche Katastrophe für sie. Dann fängt sie an zu heulen. Drücke ihr zur Beruhigung ein paar Bauklötzchen in die Hand und gehe. Das Leben ist wieder schön!

44. Hausmeister zwischen den Welten
5. September 1991
    Die Ausbildung hat sich gelohnt. Als Schreinergeselle bekommt man tatsächlich leichter Arbeit. Nur keine als Schreiner. Arbeite seit einer Woche als Hausmeister in einem Asylantenwohnheim. Heute muss ich Glühbirnen im Flur wechseln. Ein Inder sieht mir dabei zu. Als das Licht wieder funktioniert, bedankt er sich überschwänglich bei mir. Irre, mit was für Kleinigkeiten man den Leuten hier eine Freude bereiten kann. Dann stellt er mir seine Familie vor. Und seine Kinder. Acht Stück. Muss an meine Erfahrung mit dem Kamasutra denken und wie kräfteraubend mein Ausflug in die erotische Welt Indiens damals für mich war. Bemitleide den Mann ein bisschen. Seine Frau schenkt mir einen Fresskorb zur Begrüßung. Das würde man in Indien so machen und ich soll direkt mal probieren. Das lass ich mir nicht zweimal sagen und erlebe eine völlig neue kulinarische Erfahrung: den galoppierenden Flächenbrand. Wusste nicht, dass in der indischen Küche Napalm verwendet wird. Renne schreiend durch den Flur auf der Suche nach Löschwasser. Ein Nigerianer hat Gnade und lässt mich in sein Bad. Nach zwanzig Minuten lässt der Brand nach. Der Inder und seine Frau lächeln. Meine Reaktion scheint wohl normal zu sein.
6. September 1991
    Heute Morgen einen Anruf erhalten. Ein Chilene hätte irgendwo eine Kakerlake entdeckt. Als ich im Wohnheim ankomme,herrscht große Aufregung. Der Chilene stürmt im Flur auf mich zu und lässt einen Wortschwall auf mich los. Verstehe kein Wort. Gott sei Dank ist auch eine Dolmetscherin vom Amt da. Frage sie, was denn los sei. Herr Rubalcaba hätte eine Kakerlake entdeckt. Ja, das wüsste ich schon. Frage, wo er sie denn gefunden hätte. Die Dolmetscherin lässt einen Wortschwall auf Herrn Rubalcaba los. Herr Rubalcaba antwortet lange und ausgiebig. Die spanische Aussprache kann man getrost als feucht bezeichnen. Kurz bevor ich durchgeweicht bin, schließt Herr Rubalcaba seinen Vortrag mit einer kleinen Fontäne ab und die Dolmetscherin übersetzt.
    »In der Hafenspelunke.«
    Bin irritiert. Wusste nicht, dass Siegburg einen Hafen hat, geschweige denn eine Hafenspelunke. Und überhaupt, wurde die Kakerlake denn nicht hier im Haus gefunden? Die Dolmetscherin fragt noch mal nach. Wortschwall hin, Wortschwall zurück. Es sei schwierig zu verstehen, weil der Mann einen eigenartigen Dialekt spräche, aber sie sei sich
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