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Stehaufmaennchen

Stehaufmaennchen

Titel: Stehaufmaennchen
Autoren: Markus Maria Profitlich
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jetzt sicher, dass Herr Rubalcaba die Kakerlake in einem bolivianischen Propellerflugzeug entdeckt hätte. Um aber hundertprozentig sicher zu gehen, fragt die Dolmetscherin noch mal nach und unterstreicht ihre Ausführungen, indem sie – ein Propellerflugzeug imitierend – mit ausgebreiteten Armen durch den Flur knattert. Herr Rubalcaba guckt mich an und tippt sich an die Stirn. Ich nicke. Wir verstehen uns auf Anhieb. Eine Minute später weiß ich, dass er die Kakerlake im Flur entdeckt hat. Erteile der Dolmetscherin Landeerlaubnis und gehe. Ein Stockwerk tiefer treffe ich Herrn Bakshi wieder, den Inder mit dem reichen Kindersegen. Ob er mir seine Kinder schon mal vorgestellt hat. Ja klar, alle acht. Herr Bakshi lacht. Nein, nein, das wären ja noch lange nicht alle. Natürlich muss ich mit, mir seine restlichen Kinder ansehen. Herr Bakshi fragt, warum ich denn im Haus sei, das Licht würde doch funktionieren. Erzähle, dass ich hier bin, um ein paar Kakerlakenvor die Tür zu setzen. Herr Bakshi starrt mich entsetzt an. Dann rennt er schreiend in die Wohnung und redet aufgeregt auf seine Frau ein. Die Nachricht über die Kakerlaken scheint die beiden bis ins Mark zu erschüttern, denn Frau Bakshi bekommt einen fürchterlichen Weinkrampf. Nach und nach tauchen die Kinder auf. Alle heulen und rennen schreiend durch die Wohnung. Mein Gott, was hab ich angerichtet? Will die Familie beruhigen, als Herr Bakshi mich wütend anschreit. Sie würden niemals gehen! Nur mit Gewalt! Wer denn gesagt hat, die Bakshis sollen gehen? Na, ich hätte das gesagt! Mit Kakerlaken seien doch wohl sie gemeint! Verstehe überhaupt nichts mehr, bis ich erfahre, dass der alte Büdchenbesitzer von gegenüber meine indische Familie als Kakerlaken bezeichnet. Nett von ihm. Kann das Missverständnis gerade noch aufklären. Es handele sich um echte Kakerlaken, diese Krabbeltiere. Ach, Tilacatta? Genau, Tilacatta. Die Familie ist erleichtert. Aus Dankbarkeit kriege ich einen Fresskorb. Diesmal sei das Essen aber nicht so scharf. Eine Minute später klopfe ich wieder bei dem Nigerianer und stürme ins Bad. Diesen Büdchenbesitzer muss ich mir mal vorknöpfen.
7. September 1991
    Im Büdchen. Bin keine Minute drinnen, als der Mann schon seine politische Diarrhö bekommt. Das ganze Gesocks da drüben in dem Heim, die seien doch alle dreckig und die würden sich alle nicht richtig waschen. Betrachte nachdenklich den Urinfleck auf seiner ballonseidenen Jogginghose und schätze sein Alter auf mindestens zwei Wochen. Oben scheint der Mann aber auch nicht ganz dicht zu sein, denn jetzt erklärt er, dass die da drüben sowieso alle nur hier seien, weil die Mauer weg ist. Und wenn‘s nach ihm ginge, würde man die wieder aufbauen. Er würde den Stacheldraht spenden. Stimme ihm zu, dass eine Mauer gebaut werden müsse. Allerdings direkt vor seiner Tür. Damit solche Arschlöcher wie er nicht auch noch draußen die Luft verpestenmit ihrem geistigen Durchfall. Getroffen. Der Mann ist so außer sich, dass der Urinfleck einen frischen Nachbarn bekommt. Bevor ich kotzen muss, gehe ich. Im Rausgehen stoße ich versehentlich einen Zeitungsständer um. Dann noch einen zweiten.

8. September 1991
    Kakerlakenjagd hört sich einfacher an, als es ist, denn um die Viecher zu jagen, muss man sie erst mal finden. Krempele das halbe Haus um. Finde nicht eine Kakerlake. Ist aber nicht schlimm, denn kurz darauf finden die Kakerlaken mich. Stehe gerade mit Herrn Bakshi im Flur (er zeigt mir gerade seine zwei Jüngsten), als eine von ihnen über meinen Fuß krabbelt. Mit einem eleganten Dreher zertrete ich das Teil. Das war‘s. Ende. Und dafür die ganze Aufregung? Bücke mich und schaue mir den zerquetschten Körper an. Ich bin nicht der Einzige, der Interesse für das tote Insekt hat, denn aus den Augenwinkeln registriere ich, dass ein paar seiner lebenden Kollegen ebenfalls auf seine sterblichen Überreste gucken. Herr Bakshi lächelt weise. Ein indisches Sprichwort sagt: »Wenn eine Kakerlake stirbt, kommen alle Verwandten zur Beerdigung.« Die Verwandtschaft scheint verdammt groß zu sein. Muss zur chemischen Keule greifen.
9. September 1991
    Bringe das bewährte Paral zum Einsatz. Vier Dosen versprühe ich im Flur, bis ich selbst fast umkippe. Zwei Sunden später schau ich nach. In der Mitte des Flurs liegt ein großer Haufen Kakerlaken. Interessant, die Tiere scheinen zum Sterben zusammengekommen zu sein. Ähnliches kennt man ja von Elefanten. Für mich ist das
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