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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Autoren: Thomas Karlauf
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legte er ein paar Wandertage in Oberbayern ein und besuchte aus einer »dunklen Neigung« 5 zu dem fünf Jahre zuvor verstorbenen Bayernkönig Ludwig II. Schloss Linderhof. Obwohl er nach der Besichtigung »an heftigem seelenkatarrh« litt, 6 erhielt er doch entscheidende Anregungen zu einem neuen Gedichtband Algabal . Anfang September brach er eine Reise nach London in großer Erregung vorzeitig ab, fuhr anschließend zwei Wochen nach Paris und kehrte dann über Berlin Ende Oktober nach Wien zurück. Auch jetzt fand er nirgendwo Anschluss. Von innerer Unruhe getrieben, durchstreifte er abends die Straßen und dürfte die Verachtung der Welt ähnlich tief empfunden haben wie seine schöne Venezianerin. Der Abwehrmechanismus war der gleiche. Nicht er trug Schuld an seiner Vereinsamung, sondern die Stadt hatte nichts anderes verdient, als mit Nichtachtung gestraft zu werden. Wien sei doch gar nicht mit Paris zu vergleichen, schrieb er nach seiner Flucht Mitte Januar an Marie Herzfeld: »Ich gedeihe nicht unter jenen (grösstenteils) zeitungsschreibern ohne jedes musikalische oder malerische interesse.« In Paris lebten die Dichter, »die wahre künstler zugleich sind«. 7 Solche wie er.
    Bis zur Begegnung mit Hofmannsthal Mitte Dezember 1891 ist Marie Herzfeld der einzige Kontakt Georges in Wien, von dem wir wissen. Die 36-jährige Übersetzerin zeitgenössischer skandinavischer Literatur, die gelegentlich auch in der Wiener Mode publizierte, hatte er im November über seine Zimmerwirtin in der Garnisongasse
kennengelernt. Marie Herzfeld »besäße die Einfühlsamkeit, ihn zu verstehen«, hatte die Wirtin ihm gesagt, und in der Hoffnung, sie werde seine Gedichte besprechen, suchte George sie auf. Zwar konnte Marie Herzfeld mit seinen Versen nur wenig anfangen – »was er sagt, ist besser, als was er schreibt« -, aber ihn selbst empfand sie als so interessant, dass sie sich mehrmals mit ihm traf.
    Vielleicht durch einen Hinweis von Marie Herzfeld, die zum Kreis der Mitarbeiter der Modernen Rundschau zählte, vielleicht auch durch Lektüre, wurde George Anfang Dezember auf Hugo von Hofmannsthal aufmerksam. Weil österreichischen Gymnasiasten das Publizieren verboten war, veröffentlichte er fleißig unter Pseudonymen wie Theophil Morren, Loris Melikow oder einfach Loris. George hat wohl am meisten das kleine Versdrama Gestern angesprochen. 8 Das im Oktober und November in der Modernen Rundschau gedruckte Stück, dessen Buchausgabe Hofmannsthal an Weihnachten George zum Geschenk machte, zeigte trotz gewisser Holprigkeiten einen neuen lyrischen Ton.
    Eine ausführliche Schilderung ihrer ersten Begegnung gab Hofmannsthal selbst kurz vor seinem Tod. Auch wenn sich aufgrund des zeitlichen Abstands Irrtümer eingeschlichen hatten, ist die Stimmung jenes Dezemberabends vermutlich recht genau getroffen. Im Café – »es war dieses berühmte Griensteidl, wo ich oft hinging, u. waren damals sehr viele junge Leute da« – habe ihm eines Tages jemand erzählt,
    es sei jetzt ein Dichter Stefan George in Wien, der aus dem Kreise von Mallarmé komme. Ganz ohne Vermittlung durch Zwischenpersonen kam dann George auf mich zu: als ich, ziemlich spät in der Nacht, in einer englischen revue lesend, in dem Café sass, trat ein Mensch von sehr merkwürdigem Aussehen, mit einem hochmütigen leidenschaftlichen Ausdruck im Gesicht (ein Mensch der mir weit älter vorkam als ich selber, so wie wenn er schon gegen Ende der Zwanzig wäre) auf mich zu, fragte mich, ob ich der und der wäre – sagte mir, er habe einen Aufsatz von mir gelesen, und auch was man ihm sonst über mich berichtet habe, deute darauf hin, dass ich unter den wenigen in Europa sei (und hier in Oesterreich der Einzige) mit denen er Verbindung zu suchen habe: es handle sich um die Vereinigung derer, welche ahnten, was das Dichterische sei. 9

    Folgt man der Darstellung Hermann Bahrs, so trat George keineswegs auf Hofmannsthal zu. Um 1910, also knapp zwanzig Jahre vor Hofmannsthals eigenem Bericht, erzählte er dem jungen Herbert Steiner: »Er [George] schickte ein paar Worte zu Hofmannsthal herüber und der setzte sich an seinen Tisch und war ganz begeistert von ihm.« 10 Wichtiger als die Nuance, wer sich zu wem an den Tisch setzte, ist der in beiden Quellen übereinstimmende Hinweis, dass Georges äußere Erscheinung als ungewöhnlich registriert wurde und ihm der Ruf vorauseilte, er komme direkt aus Paris. Das machte George sogar für die anspruchsvolle Wiener Szene
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