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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Autoren: Thomas Karlauf
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und Stolzen beim ersten Zusammentreffen steht bei näherer Bekanntschaft Lebhaftigkeit der Rede, ja Leidenschaftlichkeit und zarte Reizbarkeit im besten Sinne, die sich gern in Ironie flüchtet, gegenüber. 16
    George sah immer ein wenig übernächtigt aus, schon als junger Mann wirkte er verhärmt und leidend. Wer ihm gegenübertrat, musste den Eindruck gewinnen, dass dieser Mann es schwer hatte mit sich und der Welt. Das stete Leiden an der Gegenwart war für George aber auch Ausweis seines Erwähltseins. Mit jeder Geste, mit allem, was er sagte, unterstrich er seinen Anspruch, stellvertretend, im Namen einer höheren Macht zu handeln. So überspielte er nicht nur Unsicherheiten im täglichen Umgang mit seinen Mitmenschen, sondern verwies auch alle, mit denen er in engeren Kontakt trat, auf ein übergeordnetes Bündnis, das er vorerst als »das Dichterische« umschrieb.
    Im ersten Heft der Blätter für die Kunst hieß es im Oktober 1892 programmatisch, die Zeitschrift wende sich an »zerstreute noch unbekannte ähnlichgesinnte« Künstler, an solche also, die, wie George selbst, auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten waren, ohne schon sagen zu können, in welche Richtung ihre Bemühungen zielten. In der Kunst, so das Credo der neuen Gruppe, »glauben wir an eine glänzende wiedergeburt«. Um welche Art Kunst es sich dabei handelte, blieb zunächst unklar. Eine geistige Kunst sollte es sein, »eine kunst für die kunst«. 17 Wichtiger als die Ausgestaltung eines Programms war der Sammlungsruf als solcher. Alle, die sich im Zeichen der neuen Kunst erkannten, durften sich berufen fühlen.
    Die Vison einer anderen Kunst muss George mit enormer Eindringlichkeit vermittelt haben. Er erzählte Hofmannsthal von den Dienstagabenden bei Mallarmé, von verwandten Bewegungen in
England und Italien und wies mit Nachdruck auf die Notwendigkeit hin, der neuen Kunst auch im deutschen Sprachraum zur Herrschaft zu verhelfen. Selbst über offensichtliche Nebensächlichkeiten wie Druck und Papier »sprach er mit einem imponierenden Ernst« und zog den jungen Hofmannsthal auf diese Weise in eine ihm neue Welt. 18 Er habe, schrieb Hofmannsthal Jahrzehnte später, diese Welt als ungeheuer lebendig empfunden und sich sofort zugehörig gefühlt. Mit einem Mal sei er sich nicht länger wie ein »ganz vereinzelter Sonderling« vorgekommen. Im Zusammensein mit George habe er »jenes Communizieren webender Kräfte« erfahren, »das eben den Geist einer Zeit ausmacht«.
    Du hast mich an Dinge gemahnet
Die heimlich in mir sind,
Du warst für die Saiten der Seele
Der nächtige, flüsternde Wind
    Das Gedicht, »Einem, der vorübergeht«, entstand unter dem unmittelbaren Eindruck der ersten Begegnung zwischen dem 16. und 19. Dezember. Hofmannsthal überreichte es am Montag der darauffolgenden Woche in einem Umschlag mit der Aufschrift »Herrn Stefan George«. 19 Am nächsten Tag bedankte sich George: »Ihr schönes bekenntnis hat mich tief entzückt – nur wer bewundern kann vermag wunderbares zu schaffen.« Er fragte jedoch sofort nach dem ihn irritierenden Titel: »aber bleibe ich für Sie nichts mehr als ›einer der vorübergeht‹?« Als George drei Wochen später einen großen Bekenntnisbrief an den »zwillingsbruder« schrieb, milderte er, nachdem er sich für sein Gefühl allzu weit vorgewagt hatte, am Ende vieles ab – »Werden wir wieder vernünftig« – und unterschrieb, als hätte er sich zu guter Letzt doch mit dieser Rolle abgefunden: »Einer der vorübergeht«.
    Es klang ein wenig beleidigt. Und in der Tat: George war ja nicht nach Wien gekommen, um mit Geschichten aus dem Mallarmé-Kreis diesen oder jenen jungen Dichter zu unterhalten und dann wieder seiner Wege zu ziehen. Er suchte Gefährten, und das hieß für ihn: Menschen, für die der Glaube an die reine Kunst einherging mit dem
Glauben an ihn, Stefan George. Die Überzeugung, dass durch ihn die neue Dichtung repräsentiert werde, gab seinem Auftreten die nötige Sicherheit. Der Weg zur neuen Kunst – so vermittelte er es – führte ausschließlich über ihn. Dem Gegenüber blieb da wenig Raum. Hofmannsthal machte als Erster die Erfahrung, dass aus der gemeinsamen Begeisterung für die Sache unversehens ein Zwang zu persönlichem Bekenntnis erwuchs. Schon wenige Tage nach ihrer Bekanntschaft bekam er es mit der Angst zu tun.
    Spätestens an Heiligabend. An diesem Tag hatte er George in seiner »provisorischen wohnung« hinter der Universität besucht. Der
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