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Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Stefan George - Karlauf, T: Stefan George

Titel: Stefan George - Karlauf, T: Stefan George
Autoren: Thomas Karlauf
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überreichte er ihn dann doch, nicht ohne sich zuvor vom Adressaten die Zusicherung auf Rückgabe oder Vernichtung ausbedungen zu haben. Als George vier Wochen später Hofmannsthals Vater zur Herausgabe des Schriftstücks drängte, meinte er, gewisse Worte, »recht und bezeichnend für eine stunde«, seien »am andren tag schon zu viel und unrichtig«.
    Der Brief war aus der Stimmung gemeinsamer Spaziergänge geschrieben worden. George hatte Hofmannsthal in diesen Tagen zweioder dreimal am Mittag im Akademischen Gymnasium abgeholt und ihn auf dem Nachhauseweg begleitet (Hofmannsthal stand ein halbes Jahr vor der Matura). George nannte diese Spaziergänge ihre »akademischen gespräche«, aber das, was sie dabei erörterten, der Geist dieser Gespräche war, jedenfalls für ihn, keineswegs »akademisch«. Seinen Bekenntnisbrief rechtfertigte George denn auch damit, dass das, was er Hofmannsthal eigentlich zu sagen habe, andernfalls auf immer ungesagt bliebe, »wenn wir auch noch ein dutzend mal unsre akademischen gespräche führen«.

    Hatte George seine Gefühle für Hofmannsthal tatsächlich so wenig unter Kontrolle, dass er »durch einen Dienstmann mit roter Kappe dem jungen Octavaner ein großes Rosenbouquet ins Schulzimmer schickte, zur lebhaften Belustigung seiner Mitschüler«? 25 Leopold Andrian, der diese Anekdote überlieferte, befreundete sich im Herbst 1893 mit Hofmannsthal und lernte ein halbes Jahr später auch George kennen. Als er 1948 gebeten wurde, persönliche Erinnerungen an Hofmannsthal aufzuschreiben, notierte er sich im Vorfeld: »Die Freundschaft u. Brouille mit George – Bewunderung für den Dichter u. Antipathie gegen den Menschen u. Homosexuellen, das Bouquet durch den Dienstmann -. Wenn man den vor eine Schwadron stellt, fängt die ganze Schwadron zum Brüllen an.« 26 Wer auch immer die Geschichte mit dem Rosenbouquet in Umlauf brachte, sie dürfte die Wiener Jungliteraten amüsiert und zur Erheiterung über den kauzigen Deutschen beigetragen haben.
    Hofmannsthal hasste nichts so sehr wie die Lächerlichkeit. »Die Scheu vor der Lächerlichkeit – die Scheu sich zu unterscheiden«, notierte Andrian, schien fast ein Grundzug seines Wesens zu sein. Die Angst, ins Gerede zu kommen, war offenbar noch stärker als der physische »Widerwillen« gegen die Person Georges, den Andrian aus späteren Bemerkungen Hofmannsthals meinte heraushören zu können. 27 Hofmannsthals Bemerkung gegenüber Bahr, er sei durch die ganze Angelegenheit »weniger beunruhigt als peinlich berührt«, lässt jedenfalls das Spektrum seiner Aversionen ahnen. Je unverhohlener George sich bemühte, Hofmannsthal aus der charmanten Unverbindlichkeit der Wiener Caféhausszene herauszulösen, weil er ihn – literarisch und menschlich – für sich allein beanspruchte, desto mehr zog sich der Umworbene zurück. Es war ein verhängnisvoller Irrtum zu glauben, der Jungstar des literarischen Wien lasse sich im Handstreich erobern.
    Der Brief, den George am 10. Januar im Griensteidl übergab, endete: »Sie sind der einzige der von mir solche bekenntnisse vernahm. Darin bau ich blind auf Sie.« Zum ersten Mal in seinem Leben offenbarte sich George einem anderen, Jüngeren, in schriftlicher Form. Er
breitete vor ihm seine künstlerischen Überzeugungen aus, die sich in vielem mit denen Hofmannsthals deckten, sprach aber auch von seinen Selbstzweifeln, seiner Einsamkeit – jeder wahre Künstler lerne früher oder später diese »grosse Trübnis« kennen. Indem der dem Adressaten zu verstehen gab, dass sein weiteres Schaffen gefährdet sei und sein Leben sinnlos zu werden drohe, falls er von ihm nicht erhört werde, suchte er sanften Druck auf ihn auszuüben. Man ahnt, wie schwer es George gefallen sein muss, seine Leidenschaft in einigermaßen verständliche Worte zu fassen:
    Schon lange im leben sehnte ich mich nach jenem wesen von einer verachtenden durchdringenden und überfeinen verstandeskraft die alles verzeiht begreift würdigt und die mit mir über die dinge und die erscheinungen hinflöge, und sonderbar dies wesen sollte trotzdem etwas von einem nebelüberzug haben … Jenes wesen hätte mir neue triebe und hoffnungen gegeben … und mich im weg aufgehalten der schnurgrad zum nichts führt. O den satz den ich gestern schrieb – nein ich nenne ihn nicht denn für den andern ist daran zu viel papier tinte federn während er für mich siedendes quellendes-stoffloses blut bedeutet … Und endlich! wie? ja? ein hoffen – ein
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