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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition)
Autoren: Alex Reichenbach
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gewesen, der den Notruf getätigt hatte. Aksoy erinnerte sich, dass er angegeben hatte, er wohne «gleich um die Ecke».
    Wer öffnete, war höchstwahrscheinlich seine Frau: eine sehr kleine, schlanke, um diese Uhrzeit an einem Samstag schon adrett zurechtgemachte Mittvierzigerin. Ihr blondiertes Haar war steif von Haarspray. «Ja, bitte?», fragte sie besorgt.
    «Guten Tag. Mein Name ist Hilal Aksoy, Kriminalpolizei. Das ist mein Kollege Heinrich vom hiesigen Revier.»
    «Ach so.» Frau Stolze lächelte unsicher. «Sie wollen bestimmt noch mal meinen Mann sprechen. Ich sehe mal nach …»
    «Wir wollten eigentlich mit Ihnen sprechen. Können wir einen Augenblick reinkommen?» Es war vor der Tür verdammt ungemütlich. Von der Westseite kam eisiger Sprühregen.
    «Mit mir wollen Sie sprechen?» Frau Stolze hörte sich geradezu entsetzt an. Sie machte widerwillig ein wenig Platz, bis sie alle zusammen in der kleinen Diele standen.
    «Ja, mit Ihnen», bestätigte Aksoy. «Über Ihre Beobachtungen in der letzten Zeit, in der letzten Nacht insbesondere.»
    «Ja, aber … ich wüsste nicht …»
    Sie wurde erst blass, dann rot. Ihre Panik wirkte auf Aksoy übertrieben. Oder vielleicht war das antrainierte weibliche Hilflosigkeit? Prompt warf sich Kollege Heinrich beschwichtigend in die Bresche:
    «Kein Grund zur Aufregung, Frau Stolze. Wir machen hier nur eine Nachbarschaftsbefragung, reine Routinesache.»
    Aksoy musste ein Grinsen unterdrücken. Daran merkte sie, dass ihr normales Gefühlsleben wieder die Oberhand gewann. Sogar sie gewöhnte sich offenbar allmählich an den Anblick von Toten, lief danach nicht mehr tagelang herum wie ein Zombie. Die schlimmsten Leichen waren für sie allerdings nicht solche wie die von heute. Es waren die eigentlich harmlosen, die, die eines natürlichen Todes gestorben waren. Alte Leute, drei, vier, fünf Wochen unentdeckt tot in der eigenen, gut beheizten Wohnung. Aksoy schob den Gedanken schnell fort und konzentrierte sich auf ihr höchst lebendiges und parfümduftendes Gegenüber. «Frau Stolze, Sie wissen ja sicher durch Ihren Mann von dem Leichenfund. Sie wohnen in unmittelbarer Nähe der Staustufe. Es könnte also sein, dass Sie irgendwas gehört oder gesehen haben, das mit dem Verbrechen zusammenhängt. Können Sie sich an etwas Auffälliges erinnern?»
    «Nein. Also nein, ich wüsste jetzt nicht …»
    «Waren Sie vielleicht gestern Abend spazieren oder im Garten?»
    «Bei dem Wetter? Ich war nur gestern Nachmittag mal einkaufen. Da war alles ganz normal.»
    «In welche Richtung geht denn Ihr Schlafzimmer?»
    «Ja, also … zum Main hin.»
    Jetzt wirkte sie wieder nervös.
    «Wissen Sie noch, wann Sie gestern Abend ins Bett gegangen sind?»
    Frau Stolze schluckte. «So um elf wohl, wie immer. Nein, früher. Ich hab mich schon um zehn hingelegt. Ich hatte Kopfschmerzen.»
    «Haben Sie irgendwelche besonderen Geräusche in der Nacht gehört?»
    «Ich … nein. Nein, ich habe nichts gehört. Außer, also, man hört ja hier oft das Wasser. Von der Staustufe. Besonders wenn die über die Walze was ablassen. Das ist nachts sehr laut. Mit Ohropax hört man das sogar noch. Mich macht das verrückt, manchmal.» Sie schluckte wieder.
    «Was is’n hier los?», meldete sich eine knapp dem Stimmbruch entwachsene Stimme aus dem Hintergrund. Ein fünfzehn- oder sechzehnjähriger Junge kam schwungvoll die Treppe heruntergepoltert, mit modischen Fransen im Gesicht, trotz Pickeln nicht unhübsch und anders als seine Mutter mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein in der Körperhaltung.
    «Die Polizei», erklärte Frau Stolze fast entschuldigend. «Wegen der Wasserleiche, die Papa gefunden hat. – Mein Sohn Sebastian.»
    «Aksoy, Kriminalkommissarin. Sebastian, wir hätten auch an Sie gleich noch ein paar Fragen.»
    Aksoy siezte junge Menschen ab den ersten Anzeichen der Pubertät grundsätzlich. Das galt auch und gerade für die ultracoolen Abhänger in den schlechteren Vierteln. Ihr Eindruck war, dass Jugendliche, die als vernunftbegabte, ernstzunehmende Erwachsene angesprochen wurden, eher dazu neigten, sich auch wie solche zu benehmen.
    «Nur vorher noch eine kurze Frage an Sie, Frau Stolze. Sie sprachen von Wassergeräuschen. Ist Ihnen da heute Nacht irgendwas Besonderes aufgefallen? Ein Platschen vielleicht?»
    Frau Stolze starrte Aksoy mit großen Augen an.
    «Nein. Nein, ich glaube nicht.»
    «Sie glauben, aber Sie sind sich nicht sicher?»
    «Also … ja, doch, ich weiß
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