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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition)
Autoren: Alex Reichenbach
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Literatur zu schaffen, braucht es nur das Licht im Kopf und nicht das einer Lampe.›» Grinsend ließ sie das Blatt wieder sinken. Winter verzog keine Miene, und sie wurde wieder ernst. «Auf gut Deutsch, er hatte kein Licht an, bis auf das Licht des Computerbildschirms. Ich denke, er kann tatsächlich etwas gesehen haben. Es war eine sehr helle Nacht. Ich habe zufällig selbst mal rausgeguckt, als ich so um drei auf dem Klo war. Bewölkt, da reflektieren die Wolken die Stadtlichter, und es wird nie richtig dunkel. Außerdem ist die Staustufe nachts beleuchtet.»
    «Also gut. Danke. Lassen Sie die Protokolle hier, Sie können dann gehen.»
    Aksoy ließ die Zettel auf den Schreibtisch fallen. «Ansonsten … die Villen vor der Staustufe sind als Etagenwohnungen aufgeteilt, lauter wohlsituierte Leute, ein pensioniertes Studienratsehepaar, ein Neurochirurg und seine Familie …»
    «Frau Aksoy. Ich weiß wirklich nicht, warum Sie die Berufe überhaupt erfragt haben. Das war eine simple Nachbarschaftsbefragung. Die Leute sind, wenn sie nichts gesehen haben, nicht einmal Zeugen, geschweige denn Verdächtige. Reine Zeitverschwendung, bei so was jedes Mal die Personalien aufzunehmen.»
    Aksoy zog die starken dunklen Augenbrauen hoch, öffnete den Mund, schloss ihn wieder, drehte sich um und verschwand aus der Tür.
    Winter seufzte. Es war nicht sein Tag.

    Der Schriftsteller Guido Naumann fröstelte. Der Sesselbezug war klamm, seine Kleider waren klamm, die Bettlaken sowieso. In der Küche hing die Wäsche seit drei Tagen vor der Heizung und wurde nicht trocken. Und der Brauchwassertank sowie die Winde, letztes Jahr frisch gestrichen, rosteten schon wieder braunrot vor sich hin.
    Wenn er sich eine der Villen hier draußen leisten könnte, er wäre aus diesem verfluchten Hausboot längst ausgezogen. Bei seinem äußerst mäßigen Einkommen war aber die Alternative zu dem Hausboot (vor Jahren preiswert von einem Bewunderer angemietet) nur eine schäbige, kleinbürgerliche Spießerwohnung in einer x-beliebigen hässlichen Mietskaserne. Was zu einem Schriftsteller seines Ranges natürlich passte wie … nein, nicht ‹Eulen nach Athen›, das war Unsinn. ‹Wie die Faust aufs Auge›? Zu abgedroschen und zu zweideutig. ‹Wie Cheeseburger zu einem Grand Cru›! Das war’s. In Metaphern konnte ihm einfach keiner das Wasser reichen.
    Wasser. Wasserleiche. Verdammt. Er hatte aus dieser schlecht artikulierenden türkischen Bullin (Bullin? Bullenschlampe? Bullenkuh!) nicht herausgebracht, was man bei der Polizei wusste und was nicht.
    Schlecht vor Schreck war ihm geworden, als diese bildungsferne Bullenkuh mit Kripomarke in der Hand und dümmlichem Kollegen im Schlepptau vor der Tür gestanden hatte. Die beiden waren einfach über die Absperrung des Stegs geklettert und aufs Boot gekommen. Hausfriedensbruch, wenn man’s genau nahm. Und ihm war das Herz stehengeblieben, weil er fürchtete, das Schlimmste sei eingetroffen, irgendjemand habe die kleine Schlampe vor drei Tagen bei ihm reingehen sehen und das der Kripo gesteckt. Zum Glück war es dann doch harmlos, was die Bullen wollten, Nachbarschaftsbefragung. Routine. Wer sollte auch etwas gesehen haben. Hinter dem Steg lag eine Grünfläche ohne glotzende Nachbarn.
    Es war trotzdem eine verflixte Geschichte. Die Bettwäsche hatte Naumann schon gewaschen. Aber das Sofa. Er sah sich um. Auf dem Sofa lagen ja die Wolldecken. Waren da jetzt Fasern dran? Oder Haare?

    Als Winter gegen sieben nach Hause kam, fand er Carola, seine Frau, im Nachthemd und mit einer Wärmflasche auf dem Bauch im Bett vor. «Ich bin völlig am Ende», erklärte sie ihm, feuchte Haarsträhnen im verknautschten Gesicht. «Wenn ich nur wüsste, was wir falsch gemacht haben.»
    «Sara?», fragte er ahnungsvoll.
    Carola nickte. «Sie ist vor Stunden weg, dieses obszöne Top am Leib, mit dem sie praktisch nackt ist, und eine Flasche Whiskey in der Hand. Whiskey. Als ich sie gefragt hab, wo sie hinwill, hat sie gesagt: Fick dich, du Fotze. Wörtlich. Und unten vor der Tür hat dieser schreckliche Selim auf sie gewartet. Ich habe aus dem Fenster den Wagen erkannt.»
    Carola brach in Tränen aus.
    Winter holte sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer seiner Tochter. Er bekam nur die Mailbox.
    «Haben wir eine Telefonnummer von diesem Selim?»
    Carola schüttelte wortlos den Kopf und zog die Nase hoch.
    Nachdem Winter erfolglos versucht hatte, bei einigen von Saras alten Freundinnen die Nummer des
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