Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Staunen über den Erlöser

Staunen über den Erlöser

Titel: Staunen über den Erlöser
Autoren: Max Lucado
Vom Netzwerk:
ihn den Erlöser nennen.

Kapitel 5
    Lieben ist Loslassen
    »Frau, das ist jetzt dein Sohn.« (Johannes 19,26)
    Das Evangelium ist voll von Aussprüchen, die unseren Glauben testen und unsere menschliche Natur gegen das Schienbein treten.
    »Es ist segensreicher, zu geben, als zu nehmen« (Apostelgeschichte 20,35).
    »Wer versucht, sein Leben zu retten, wird es verlieren. Aber wer sein Leben für mich aufgibt, wird es retten« (Lukas 9,24).
    »Ein Prophet wird überall verehrt, außer in seiner Heimatstadt und in seiner eigenen Familie« (Matthäus 13,57).
    Aber wohl kein Satz haut einen so um wie der folgende in Matthäus 19,29: »Und jeder, der um meines Namens willen sein Haus, seine Geschwister, seine Eltern, seine Kinder oder seinen Besitz aufgegeben hat, wird hundertmal so viel wiederbekommen und das ewige Leben erlangen.«
    Das mit dem Haus kann ich ja noch verstehen. Aber der Rest: Vater und Mutter verlassen, den eigenen Geschwistern auf Wiedersehen sagen, den Sohn oder die Tochter zum Abschied umarmen … Dass jemand, der Jesus nachfolgt, auf Besitz oder Ansehen verzichten muss, mag ja angehen – aber meine Lieben verlassen? Warum erwartet Jesus, dass ich dazu bereit bin? Kann es ein härteres Opfer geben?
    »Frau, das ist jetzt dein Sohn.«
    Maria ist älter geworden. Ihre Schläfen sind ergraut, ihr Gesicht ist faltig, ihre Hände haben Schwielen. Sie hat ein ganzes Haus voll Kinder aufgezogen. Und jetzt steht sie unter dem Kreuz ihres Ältesten.
    Was für Erinnerungen mögen ihr durch den Kopf gehen, als sie seine Qual sieht? Vielleicht der lange Ritt nach Bethlehem. Das Lager aus Heu, das sie für das Neugeborene machte. Die Flucht nach Ägypten. Der Alltag in Nazareth. Die plötzliche Angst in Jerusalem: »Ja, ist er nicht bei euch?« Wie sein Vater ihm das Schreinerhandwerk beibrachte. Anekdoten und Gelächter am Mittagstisch.
    Und dann jener Morgen, als Jesus früher als sonst aus der Schreinerei heimkam, die Augen fester, die Stimme direkter. Er hatte die Neuigkeiten gehört. »Johannes predigt in der Wüste.« Und er nahm sich die Schürze ab, wischte sich die Hände sauber, sah seine Mutter ein letztes Mal an und sagte ihr Auf Wiedersehen. Und sie beide wussten, dass das Leben nie mehr so sein würde wie bisher. In diesem letzten Blick teilten sie ein Geheimnis, das laut zu sagen zu wehgetan hätte.
    An jenem Tag lernte Maria es, wie schwer ein Auf Wiedersehen das Herz machen kann. Ab jetzt konnte sie ihren Sohn nur noch aus der Ferne lieben – am Rande einer Menschenmenge, vor einem überfüllten Haus, am Ufer des Sees Genezareth. Vielleicht war sie dabei gewesen, als Jesus diese rätselhafte Verheißung gab: »Jeder, der um meines Namens willen … seine Eltern (seine Mutter) … aufgegeben hat …«
    Maria war nicht die Erste, die um des Reiches Gottes willen lieben Menschen auf Wiedersehen sagen musste. Josef kam ganz allein nach Ägypten. Jona musste ins ferne Ninive. Hanna weihte ihren Sohn Samuel dem Dienst des Herrn im Heiligtum. Der junge Daniel wurde von Jerusalem nach Babylon verschleppt. Nehemia kam von Susa nach Jerusalem. Abraham bekam den Auftrag, seinen eigenen Sohn zu opfern. Paulus musste seinem religiösen Erbe den Abschied geben. Die Seiten der Bibel sind mit Abschiedsfäden zusammengeheftet und mit Flecken von Abschiedstränen übersät.
    Das Wort Auf Wiedersehen oder Ade, es ist nur zu häufig im christlichen Vokabular zu finden. Jeder Missionar kennt es. Und die, die die Missionare aussenden. Der Arzt, der seine Großstadt praxis verlässt, um in einem Dschungelkrankenhaus zu arbeiten, ist mit ihm vertraut, und der Bibelübersetzer, der in ferne Länder reist. Die, die die Hungrigen speisen, die Verlorenen lehren, den Armen helfen – sie alle wissen, was Abschied nehmen heißt.
    Flughäfen. Gepäck. Umarmungen. Schlusslichter. »Wink schön für die Oma!« Tränen. Busbahnhöfe. Anlegebrücken. »Ade, Papa.« Kloß in der Kehle. Fahrkartenschalter. Feuchte Augen. »Schreib mir!«
    Frage: Was ist das für ein Gott, der den Menschen so etwas zumutet? Was ist das für ein Gott, der einem erst Verwandte schenkt und dann verlangt, dass man sie verlässt? Was ist das für ein Gott, der einem Freunde gibt, nur um anschließend zu erwarten, dass man ihnen Auf Wiedersehen sagt?
    Antwort: Ein Gott, der weiß, dass die tiefste Liebe nicht in Leidenschaft und Romanze gründet, sondern in der gemeinsamen Aufgabe und dem gemeinsamen Opfer.
    Antwort: Ein Gott, der weiß, dass wir nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher