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Staunen über den Erlöser

Staunen über den Erlöser

Titel: Staunen über den Erlöser
Autoren: Max Lucado
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Ewigkeit an beim Vater war, ist allein. Der Christus, der Mensch gewordene Gott, ist allein. Die Dreieinigkeit ist aufgelöst, die Gottheit zerbrochen, die Einheit fort.
    Es ist mehr, als Jesus tragen kann. Die Schläge hat er ertragen, in dem Schauprozess blieb er stark. Er schaute schweigend zu, wie seine Jünger feige davonliefen. Er schlug nicht zurück, als seine Häscher ihn verhöhnten, er schrie nicht, als die Nägel in seine Handgelenke drangen.
    Aber als Gott sich abwandte – da konnte er nicht mehr.
    »Mein Gott!« Der Schrei löst sich von seinen verklebten Lippen. Das heilige Herz ist gebrochen. Der Sündenbock läuft schreiend in die ewige Wüste hinein. Aus dem stummen Himmel kommen die Worte, die all die schreien, die durch die Wüste der Einsamkeit wandern. »Warum? Warum hast du mich verlassen?«
    Nein, ich begreife es nicht. Warum hat Jesus das durchgemacht? O ja, ich kenne die gelehrten Antworten. »Um das Gesetz zu erfüllen.« »Um die Prophezeiungen zu erfüllen.« Und sie stimmen sogar, diese Antworten. Aber hier ist noch mehr. Etwas ungeheuer Barmherziges. Etwas voller Sehnsucht. Etwas ganz Persönliches.
    Was ist das?
    Vielleicht täusche ich mich, aber ich muss hier an das Tagebuch von Judith Bucknell denken. »Ich bin so einsam«, schrieb sie. »Wer liebt Judy Bucknell?« Ich muss an die Eltern denken, die gerade ihr Kind zu Grabe getragen haben. Oder an die Freunde, die hilflos am Bett des Kranken stehen. Oder an die Menschen in dem Pflegeheim. Oder an die Waisenkinder. Oder die Krebsstation.
    Ich muss an all die Menschen denken, die voller Verzweiflung zu dem dunklen Himmel hochschauen und rufen: »Warum?«
    Und dann sehe ich ihn vor mir. Wie er lauscht. Wie seine Augen feucht werden und die eine durchbohrte Hand eine Träne wegwischt. Es mag sein, dass er uns keine Antworten bietet, kein Dilemma auflöst, dass unsere Fragen eiserstarrt in der Luft hängen bleiben - aber er, der selbst so allein war, er versteht uns.

Kapitel 7
    Ich habe Durst
    Jesus wusste, dass nun alles vollbracht war, und um zu erfüllen, was in der Schrift vorausgesagt war, sagte er: »Ich habe Durst.«
    (Johannes 19,28)
    I
    »Was bin ich müde«, seufzte er. »Geht ihr weiter und holt was zu essen, ich ruh’ mich hier aus.« Er war müde. Todmüde. Die Füße taten ihm weh. Sein Gesicht war heiß. Die Mittagssonne knallte unbarmherzig herab. Er wollte ausruhen. Und so hielt er an dem Brunnen an, winkte seinen Jüngern hinterher, streckte sich etwas und setzte sich. Aber bevor er die Augen schließen konnte, kam eine Samariterin daher. Sie war allein. Waren es die Ringe unter ihren Augen oder ihre gebückte Haltung, die ihn seine Müdigkeit vergessen ließen? Komisch, dass die am hellen Mittag hierherkommt …
    II
    »Was bin ich müde.« Er streckte sich und gähnte. Es war ein langer Tag gewesen. Die Menge der Zuhörer war groß gewesen - so groß, dass er in ein Boot gestiegen war, um von dort aus zu predigen. Und jetzt war der Abend da, und Jesus war müde. »Wenn ihr nichts dagegen habt, schlaf’ ich mal eben ’ne Runde.« Und er legte sich hin. In einer wolkenverhangenen Nacht auf dem See Genezareth legte der Sohn Gottes sich schlafen. Einer der Jünger legte ihm ein Kissen zurecht, und er ging an die trockenste Stelle des Bootes und haute sich aufs Ohr. Er schlief so tief, dass der Donner ihn nicht weckte. Auch nicht das Schaukeln des Bootes. Oder die Gischt der sturmgepeitschten Wellen. Erst die Schreie seiner verängstigten Jünger drangen in die Tiefe seines Schlafes vor.
    III
    Ich bin wütend. Er brauchte es nicht zu sagen, man sah es in seinen Augen. An dem roten Gesicht, den geschwollenen Adern, den geballten Fäusten. »Ich lass’ mir das nicht mehr gefallen!« Und aus dem Tempel wurde ein Ein-Mann-Boxring, aus einem normalen Markttag ein Ein-Mann-Aufruhr. Das Lächeln auf dem Gesicht des Sohnes Gottes verwandelte sich in ein zorniges Funkeln. »Verschwindet!« Das Einzige, was noch höher flog als die Tische der Wechsler, waren die Tauben, die in ihre plötzliche Freiheit flatterten. Ein zorniger Messias sagte, was Sache war: Hört auf, mit Religion Geld zu machen, oder Gott macht Hackfleisch aus euch!

    Wir sind den Verfassern der Evangelien zu Dank verpflichtet, dass sie uns diese Szenen überliefert haben, die uns einen so menschlichen Jesus zeigen. Sie hätten sie auch auslassen können, aber sie schrieben sie nieder, und dies an genau den richtigen Stellen.
    Immer dann, wenn seine
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