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Starke Frau, was nun?

Starke Frau, was nun?

Titel: Starke Frau, was nun?
Autoren: Kera Jung
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Machos sind. Lisa identifiziert bei ihrer Blindseeing Tour durch Berlins Hinterhöfe circa dreißig unterschiedliche Gerichte, welche aus den geöffneten Fenstern ihre Düfte entfalten und ungefähr fünfunddreißig verschiedene Nationalitäten in sich vereinen. Ähnliches trifft auf die Musik zu, die ihre Albtraumfahrt begleitet. Ein enger Hof wird gleich von drei Alternativen beschallt: deutscher Rap, türkische Folklore und Milva.
    Letztere knockt sie flüchtig aus; Lisa kommt schlitternd mit ihrem Rad zum Halten und poltert beinahe in einen eckigen Müllcontainer, der dekorativ mitten in den Weg gestellt wurde. Ungläubig und leicht benommen starrt sie zu den vielen erleuchteten Fenstern hinauf und lauscht erneut.
    »HURRA! Wir leben noch!«
    »Scheiße!«, knurrt sie. »Verdammter Scheiß!«
    Erstens ist sie nun fast taub, denn es existieren Melodien, die sofort ihr Gehör wegätzen – was sich in ihrem Job ziemlich mies macht. Und zweitens wird sie für den Rest des Abends – mindestens! – mit einem besonders fiesen Tinnitus gesegnet sein. Sie kann sich das Grauen bereits vorstellen: »Hey, Leute, ich hoffe, ihr habt den Tag trotz Smog ohne Warnung überstanden. Und jetzt, zum Runterkommen ... ›Hurra, wir leben noch‹!«
    »Oh mein Gott!«, stöhnt Lisa, die Atheistin aus Überzeugung, dann fällt ihr auf, dass sie, um diesen verfluchten Versprecher zu fabrizieren, überhaupt erst mal am Mikro sitzen muss, und sie tritt eilig wieder in die Pedalen.
    Den Versuch, ihre Ohren zu schützen, solange sie sich noch auf diesem verseuchten Hinterhof befindet, lässt sie schnell wieder sein. Sie ist zu atemlos und unkonzentriert, um freihändig zu radeln, außerdem sieht sie wirklich nicht sehr viel. Früher hatten diese verdammten Höfe eine Beleuchtung – na ja, früher gab es auch mal einen Kaiser.
    Nach fünf weiteren Hinter-, Hinterhinter- und Hinterhinterhinterhöfen biegt sie mit einem Affenzahn zurück auf die beleuchtete Prachtstraße. Nicht einmal die Autos können sie nun noch ablenken, denn sie rast den Gehweg entlang und betet, nicht gerade heute einer Polizeistreife über den Weg zu fahren. Das letzte Mal, als sie denen erklärte, sie wäre unter zwölf, fanden die das gar nicht witzig und hielten sie eine halbe Stunde lang davon ab, ihr Leben weiterzuführen. Humor kennen die Ordnungshüter dieser Stadt nämlich nicht. Lisa musste damals 150 Euro blechen – was an sich ja nicht mal das Grauenhafteste war. Schlimmer – oder eigentlich der Brüller: Die Nummer brachte ihr drei Punkte in der Flensburger Umweltsünderkartei ein. Dabei besitzt sie zwar einen Führerschein, verweigert aber seit neun Jahren das Autofahren! Lachhaft!
    »Echt!«, grummelt sie, während der hohe Torbogen – ihr Ziel – in erreichbarer Ferne vor ihr auftaucht.
    »Yeah!«, keucht sie und stöhnt in der nächsten Sekunde resigniert auf. Keine Milva, nein! Dieser widerliche Machospruch hat es zum Dauerbrenner des Tages geschafft!
    Verfluchter Mist!
    Zwei Durchgänge später erreicht sie endlich den letzten der Hinterhöfe, der überhaupt nicht wie einer wirkt. Eine riesige Leuchtreklame verkündet, dass von hier aus

gesendet wird.
    Mit Schwung schmettert sie ihr Rad an die kürzlich sanierte Backsteinwand, jagt die Metalltreppe hinauf und feuert schließlich die Tür auf. Trotz Rauchverbots unterlässt sie es tunlichst, die Atemschutzmaske abzusetzen und zieht sicherheitshalber darüber hinaus noch den Kopf ein. Derart getarnt drückt sie sich an Meyers glücklicherweise geschlossenem Büro vorbei, hetzt in den kahlen, nach Farbe stinkenden Hausflur und macht sich an den Aufstieg.
    Eine Treppe, eine zweite, eine dritte – kurze Verschnaufpause – und danach die vierte; ist ein bisschen anstrengend, ja, doch den Aufzug benutzt sie aus Überzeugung nicht.
    Etwas kurzatmig erreicht Lisa endlich das Aufnahmestudio zwei, wirft sich nach erfolgreichem Öffnen in den Raum und die Tür augenblicklich zu, lässt das Rollo herunter, lehnt sich mit dem Rücken gegen die Scheibe und schließt ermattet die Augen.
    Oh Frau!
    * * *
    Nach einigen Momenten angestrengten Verschnaufens fühlt sie sich bereit, sich auch visuell ihrer Umgebung zu widmen, und wird als Erstes mit Rebekkas breitem Grinsen konfrontiert. »Was, auf der Flucht?«
    »Yea ...« Lisa verzieht das Gesicht. »Nein!« Eilig schaut sie auf die Uhr. Drei Minuten vor neun, sie hat es tatsächlich geschafft! Klaus ist noch am Start, alles geritzt! Nun ja ... fast. »Hat
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