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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe
Autoren: Sofi Oksanen
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von diesen Kareliern die Rede war.

    Vielleicht waren die Reden der mit mir verwandten Oma eigentlich ein ungeschickter Annäherungsversuch, vielleicht war sie richtig froh, einen Gesprächsstoff gefunden zu haben, von dem sie meinte, es sei ein gemeinsamer. Vielleicht war sie sich nicht sicher, ob Mutter überhaupt ordentlich Finnisch verstand, da die Oma selbst nicht mal einen anderen Dialekt beherrschte. Vielleicht war es so, aber die Karelier konnte Oma nicht leiden. Wären sie bloß dort geblieben, von wo sie gekommen waren, diese Russkis. Mutter glaubte nicht an die linkisch beteuerte Gutwilligkeit von Omas Absichten und kochte niemals Essen, das typisch finnisch gerochen hätte. Jedenfalls nicht für ihre eigene Schwiegermutter. Nichts Estnisches, aber auch nichts typisch Finnisches, damit die Schwiegermutter ihren Sohn nicht dafür bedauern konnte, dass seine aus dem Ausland geholte Ehefrau eine so jämmerliche Köchin war.
    Die Oma, die mich mag, reicht mir einen Apfel, hier hast du, und will etwas aus ihrer Handtasche nehmen. Ich weiß schon, was. Ihre Geldbörse. Das sollte sie nicht tun, warum tut sie das, ich will diesen Apfel nicht mehr, was soll ich damit. Wenn ich Geld in Aussicht habe, was könnte ich davon nicht alles kaufen, so manches, was ich den ganzen Abend und die Nacht hindurch erbrechen könnte, da ich im Moment keinen Pfennig dafür übrig habe. Liebe Oma, leg die Tasche weg, sei so lieb. Aber die Oma ist nicht so lieb, wie man zu mir lieb sein kann, sondern knipst mit einer Hand ihr Portemonnaie auf und hält mir mit der anderen den Apfel hin, den ich nicht nehme, und Oma hebt verwundert den Kopf; warum ich ihn nicht nehme, er ist ein schöner, blanker Apfel, und ich mag doch Äpfel, das weiß Oma, aber Oma weiß nicht, dass ich Äpfel nur deshalb mag, weil ich sie an einem Tag für sichere Lebensmittel ohne Gefahr essen kann. Dann fragt Oma, was denn los sei, und ich muss den Apfel ganz ganz schnell nehmen, aber nichtzu schnell, nicht verdächtig schnell, sondern so schnell, dass es für Oma aussieht, als wäre ich nur in Gedanken gewesen, als hätte ich den Apfel nur übersehen und als ginge es nicht um irgendein Problem. Dass ich nicht unschlüssig war, nicht nervös wegen irgendetwas, dass ich keine beängstigende Wahl getroffen habe, obwohl genau das der Fall war, in der kleinen Sekunde, als ich auf die Hand wartete, die das Portemonnaie aus der Handtasche nahm. Hätte die Oma mir den Apfel früher gegeben und nicht in Verbindung mit dem Kramen nach der Geldbörse, hätte ich zum Beispiel sagen können, oh je, ich habe meine Verabredung vergessen, jetzt muss ich aber los, noch bevor Oma überhaupt dazu gekommen wäre, ihre Tasche zu suchen, und ich wäre nicht in diese Situation geraten und vor eine Entscheidung gestellt worden, sondern den ganzen Abend, also lange genug, vollkommen entspannt gewesen, um prophezeien zu können, dass die Nacht ruhig sein würde. Aber Oma versteht so einfache Dinge nicht, und auch nicht, dass man mich nicht in Versuchung führen darf, indem man mir Geld gibt, wenn ich keins habe und weiß, wofür ich es ausgeben werde. Ich hätte schon weglaufen, mir irgendetwas ausdenken und fortgehen müssen, aber ich bleibe sitzen und starre auf Omas Hand, die einen glatten Geldschein hervorzieht und ihn mir in die Hand steckt, die ihn in meine Tasche schiebt. In der Tasche spüre ich bis auf die Knochen einen heißen Bereich. Das Papier eines Geldscheins … ganz glatt. Ich möchte den Apfel wegwerfen, aber das kann ich nicht vor den Augen der Oma tun. Ich muss ihn in den Händen hin und her drehen, bis er Druckstellen bekommt. Und Oma möchte auch noch plaudern. Ich nicke, so als hörte ich zu. In meinen Beinen kribbelt es. Ich muss endlich los. Es ist schon wer weiß wie spät. Gleich schließen die Geschäfte. Dann ist nur noch der Kiosk offen, und dort ist alles teurer. Was für einen Nutzen hätte ein großer Geldschein, wenn ich dafür nicht genug Esswaren kaufen kann. Das wäre unerträglich. Ich lasse dieBeine baumeln, vor und zurück. Ich drücke den Apfel in der Hand. Ich weiß nicht, wohin damit. Er passt nicht in die Tasche, dort ist schon der Geldschein. Ich kann kein einziges Mal abbeißen. Ich habe schon beschlossen, was ich heute Abend tun werde. Deshalb kann ich keinen Apfel essen. Als ich den Geldschein bekam, landete der Apfel auf der Liste der verbotenen Lebensmittel. Er wurde überflüssig. Ich kann ihn heute nicht gebrauchen. Warum soll er
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