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Stalins Kühe

Stalins Kühe

Titel: Stalins Kühe
Autoren: Sofi Oksanen
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Geburtstagstorte erbrochen, die ich für Hukka gemacht und die ich schon zu Hukka gebracht und dort in den Kühlschrank gestellt hatte. Aber dann hatten wir kleine Meinungsverschiedenheiten, und als Hukka ins Badezimmer ging, machte ich mich mit der Torte aus dem Staub und ging nach Hause. Eine Stunde später erschienen die Gäste, denen Hukka die Torte einer Meisterbäckerin wie mir schon angekündigt hatte. Ich weiß nicht, was Hukka sich als Erklärung hat einfallen lassen.

    Wenn Hukka mich kränkt, braucht Hukka meine Torte nicht. Wenn Hukka meine Torte kränkt, braucht Hukka mich nicht. Entweder will Hukka uns alle beide, oder Hukka bekommt keines von beiden, und das würde Hukka doppelt ärgern, denn die besten Torten mache ich für Hukka. Und meine Mutter machte die besten für mich, für ihr Wichtigstes. Und ihre Mutter für sie. Damit Mutter von ihrer Mutter zubereitete Speisen bekam, mussten wir natürlich nach Estland fahren, und dort bei Großmutter kam dann vom Herd und aus dem Ofen in regelmäßigen Abständen alles nur mögliche Gute auf den Tisch. Großmutter war so krank, dass sie nicht nach Tallinn fahren konnte, um uns zu treffen, obwohl unsere Einladung ausschließlich für Tallinn galt und für keinen anderen Ort. Wir mussten uns heimlich aus den Grenzen Tallinns davonstehlen, aufs Land. Im Ausland ansässige Personen konnten damals – abgesehen von Touristenreisen, die nur ein paar Tage dauerten und vor allem Moskau, Leningrad, Riga und Tallinn sowie Wyborg zum Ziel hatten – nur mit Einladung in die Sowjetunion kommen. Dann war auch ein längerer Aufenthalt möglich. Ob ein Antrag auf Einladung zu einem Besuch positiv beschieden würde, war unsicher und von vielerlei Einzelheiten abhängig, die den Antragstellern unbekannt waren. Außerdem durften nur nahe Verwandte den Antrag stellen, und als solche galten Geschwister, Eltern und Kinder. Die Einladungspraxis betraf also im Ausland lebende Blutsverwandte. Später wurde das Reisen leichter, und auch Bekannte wurden in den Kreis der potenziellen Empfänger eines Auslandsvisums aufgenommen.
    Aufregend waren die Reisen immer. Am besten erinnere ich mich an die Jahre, als wir zuerst in Tallinn bei Juuli, einer alten Bekannten von Mutter, übernachteten. Nach dem Wecken ging Mutter zum Taxistand und stellte sich in die Schlange. Dort konnte wer weiß wie viel Zeit vergehen,die Taxischlangen kamen einem immer endlos vor. Endlich ertönte das Hupen des Taxis auf dem Hof, und dann machten wir uns daran, die Taschen ins Auto zu tragen. Wenn der Taxifahrer begriff, dass es sich um eine lohnende Tour handelte, half er uns beim Tragen in der Hoffnung auf ein Trinkgeld und auf ausländische Kontakte. Das war die Ausnahme. Normalerweise öffneten die Taxifahrer ihren Kunden nicht die Türen, obwohl die manchmal von außen und von innen hartnäckig klemmten, und niemals hoben die Fahrer Taschen hinein und öffneten erst recht nicht den Kofferraum. Das veranlasste Mutter, den Fahrer zu verwünschen und zu beschimpfen, was jedoch nie irgendeinen Erfolg, allerdings auch keinerlei Nachteil hatte. Der Fahrer rührte sich nicht. Als die privaten Taxis aufkamen, musste man vor dem Einsteigen immer daran denken zu fragen, ob das Taxi bereit war, auch dorthin zu fahren, wo man hinwollte. Das war nämlich keineswegs sicher. Durch das Fragen schonte man seine Nerven und seine Beine. Einfacher war es freilich, finnisch zu sprechen. Dann klappte alles, auch wenn der Fahrer nichts anderes verstanden hatte, als dass es sich bei der Kundin um eine Ausländerin handelte. Saß man erst einmal im Auto, konnte man zum Russischen übergehen, um sicherzustellen, dass man auch ans Ziel kam.
    Züge und Linienbusse waren als Alternative schon allein wegen des Gepäcks ausgeschlossen, denn wir mussten alles Notwendige in Tallinn einkaufen. Auf dem Land konnten wir uns nicht nach Lust und Laune bewegen, und die Beschaffung von Waren war dort schwieriger. Die Züge wären auch zu öffentlich gewesen, dort gab es zu viele Menschen, zu viele Diebe, zu viel Aufmerksamkeit.
    Natürlich war es auch zu auffällig, mit dem Taxi anzukommen, als dass es eine gute Alternative hätte sein können, Taxis aus Tallinn waren kaum auf dem Lande unterwegs, nur Kolchosautos, aber es war die einzige Alternative. Nur wenige Bekannte besaßen ein Auto, und Mutter vertrauteauch diesen wenigen nicht in dem Maße, dass sie sie gebeten hätte, uns aufs Land zu bringen. Keine Bestechung hätte ausgereicht –
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