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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist
Autoren: Martin Cruz Smith
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Nikolai Isakow, der Kriegsheld. »
    »Inspektor Isakow?«, fragte Arkadi.
    Viktor ließ einen Augenblick verstreichen. »Ich dachte mir, dass dir das gefallen würde. Die Akte liegt hinten.«
    Arkadi verbarg seine Verwirrung, indem er zwischen den schmutzigen Kleidern und leeren Flaschen auf dem Rücksitz einen schnurgebundenen Ordner herausfischte.
    »Ist das ein Auto oder ein Wäschesack?«
    »Du solltest die Zeitungsartikel lesen. Urman und Isakow waren bei den Schwarzen Baretten, und sie haben eine Menge Tschetschenen umgebracht. Den ersten Tschetschenien-Krieg haben wir vermasselt. Beim zweiten Mal haben wir Leute mit den richtigen Fähigkeiten hingeschickt, wie man sagt. Lies die Artikel.«
    »Würde Isakow wissen, was Urman treibt?«
    »Das weiß ich nicht.« Viktor legte das Gesicht nachdenklich in Falten. »Die Schwarzen Barette haben ihre eigenen Regeln.« Er ließ Arkadi nicht aus den Augen, während er sich eine Zigarette anzündete. »Hast du Isakow mal kennengelernt?«
    »Nicht persönlich.«
    »Dachte nur.« Viktor drückte das Streichholz zwischen Daumen und Zeigefinger aus.
    »Wieso bist du an Urmans Telefon gegangen?«
    »Ich hab auf den Anruf eines Informanten gewartet. Der hatte schon mal aus Versehen Urmans Nummer angerufen. Diese Typen auf der Straße - im Winter saufen sie Frostschutzmittel. Man muss sie erwischen, wenn sie fähig sind zu reden. Wie auch immer, vielleicht war es gut, dass ich mich geirrt habe, meinst du nicht?«
    Arkadi sah, wie eine Gruppe das Cafe verließ und auf einen Geländewagen zuging. Es waren gedrungene, schweigende Männer, bis einer von ihnen Anlauf nahm und über das Eis auf dem Parkplatz schlitterte. Er breitete die Arme aus und bewegte sich, als hätte er Schlittschuhe an den Füßen. Ein zweiter Mann jagte ihm nach, und dann machten alle anderen mit; sie alberten auf einem Bein herum und vollführten Pirouetten. Ihr Lachen über die eigene Stegreifaufführung hallte über den Parkplatz, bis einer von ihnen hinfiel. Die andern verstummten wieder, drängten sich um ihn, halfen ihm zum Wagen und fuhren weg.
    »Ich bin nicht zimperlich«, sagte Viktor. »Das hab ich auch nie gedacht.«
    »Wir sind unterbezahlt, und niemand weiß besser als ich, was man tun muss, um leben zu können. Da gibt’s einen Einbruch, und der Polizist stiehlt, was der Dieb übersehen hat. Ein Verkehrspolizist erpresst Autofahrer und lässt sich schmieren. Aber Mord - das überschreitet die Grenze.« Viktor machte eine nachdenkliche Pause. »Schostakowitsch war wie wir.«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Als Schostakowitsch jung war und Geld brauchte, hat er im Stummfilmkino Klavier gespielt. Das sind wir, du und ich. Zwei große Geister, verschwendet an einen Scheißdreck. Ich habe mein Leben vergeudet. Keine Frau, keine Kinder, kein Geld. Nichts außer einer Leber, aus der du den Wodka herauswringen könntest. Es ist deprimierend. Ich beneide dich. Du hast was, wofür du kämpfen kannst. Eine Familie.«
    Arkadi holte tief Luft. »So was Ähnliches.«
    »Meinst du, wir sollten den Mann warnen? Den Kerl mit der Tätowierung?«
    »Noch nicht. Wenn er kein guter Schauspieler ist, lässt er sie was merken.« Arkadi stieg aus und fing sofort an, mit den Füßen zu stampfen, um sich warm zu halten. Durch die offene Wagentür fragte er: »Hast du sonst noch jemandem davon erzählt? Dem Revierkommandanten? Der Abteilung für innere Angelegenheiten?«
    »Soll ich mir eine Zielscheibe auf die Stirn malen? Nein, nur dir.«
    »Dann sind wir jetzt beide Zielscheiben.«
    Viktor zuckte die Achseln. »Geteiltes Leid ist halbes Leid.«
     
    Arkadis Scheinwerfer konzentrierten sich auf das hypnotisierende Band der Reifenspuren im Schnee. Er war so erschöpft, dass er einfach vor sich hin fuhr. Es machte ihm nichts aus; er hätte Moskau ewig umkreisen können, wie ein Kosmonaut.
    Er dachte an die Gespräche der Männer im All mit ihren Lieben zu Hause und rief mit dem Handy in seiner Wohnung an.
    »Schenja? Schenja, bist du da? Wenn du da bist, nimm ab.« Das war sinnlos. Schenja war zwölf, aber er war geschickt wie ein erfahrener Ausreißer, und er konnte tagelang verschwunden bleiben. Auf dem Anrufbeantworter waren auch keine Nachrichten außer ein paar wütenden, unverständlichen Worten vom Staatsanwalt.
    Arkadi rief Eva in der Klinik an.
    »Ja?«
    »Schenja ist immer noch nicht wieder da. Zumindest ist er nicht ans Telefon gegangen, und er hat keine Nachricht hinterlassen.«
    »Manche Leute hassen das
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