Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
flüsterte: »Das ist der beste Witz, den ich heute gehört habe.«
    Das Gesicht des Obersten lief fleckig rot an, und er duckte sich unter Arkadis Arm weg. Na ja, dachte Arkadi, ein Feind mehr.
    Gleb fragte: »Was ist, wenn das Grab unter dem gesamten Gerichtsgebäude hindurchgeht?«
    »Das ist immer das Problem, nicht wahr? Wenn man einmal angefangen hat zu graben, wann soll man aufhören?«
     
    Zwei
    Arkadi ließ sich Zeit. Seine Beziehung zu Surin war zu einem Spiel wie Badminton verkommen, bei dem beide Spieler machtvolle Schläge vollführten, die ihre Abneigung kraftlos hin- und hertrieben. Statt also im Eiltempo zur Metrostation Tschistyje Prudi zu fahren, hielt Arkadi in einer Gasse mit Backsteinhäusern an. Transparente blähten sich und erschlafften im Wind. Arkadi konnte nicht alle erkennen, aber er sah genug, um zu wissen, dass hier demnächst »Studio-Apartments - Concierge-Service-Kabel« errichtet werden würden: »Interessenten sollten sich jetzt eintragen.«
    Er stapfte durch den Schnee eine Treppe hinunter und klopfte an eine Kellertür. Nichts rührte sich, aber die Tür war nicht verschlossen; er stieß sie auf und trat in einen stockfinsteren Raum, in den nur ein Streifen Licht von der Straßenbeleuchtung durch den oberen Rand der Kellerfenster drang. Es war ungefähr so einladend wie eine Eiszeithöhle. Er fand einen Lichtschalter, und eine Reihe Leuchtstoffröhren an der Decke erwachte flackernd zum Leben.
    Großmeister Ilja Platonow saß zusammengesunken da und schlief, das Gesicht auf der Tischplatte zwischen den Schachbrettern. Arkadi fand es bemerkenswert, dass Platonow so viel Platz gefunden hatte, denn Schachbretter und -uhren bedeckten die ganze Fläche: antike, intarsienverzierte und computerisierte Bretter, die Figuren aufgereiht wie Armeen, die herbeibefohlen und vergessen worden waren. Die Wandregale waren voll gestopft mit Schachbüchern und -zeitschriften. Fotos der großen Russen - Aljechin, Kasparow, Karpow, Tal - hingen an den Wänden zwischen Schildern, auf denen stand: »Mitglieder werden gebeten, keine Bretter mit auf das WC zu nehmen« und »Keine Videospiele!« Es stank nach Zigaretten, Genie und muffigen Kleidern.
    Arkadi stampfte den Schnee von seinen Schuhen, und Platonows Hand schoss zwanghaft vor und schlug auf die Schachuhr.
    »Im Schlaf. Sehr eindrucksvoll«, sagte Arkadi.
    Platonow öffnete die Augen und richtete sich auf. Arkadi schätzte sein Alter auf ungefähr achtzig. Er hatte immer noch eine gebieterische Nase und einen kämpferischen Blick, als er sich erst den Schlaf aus den Augen gerieben hatte.
    »Auch im Schlaf würde ich Sie noch schlagen.« Platonow tastete seine Taschen nach einer Aufwach-Zigarette ab. Arkadi gab ihm eine. »Wenn Sie Ihr Allerbestes geben, wird es vielleicht ein Unentschieden.«
    »Tut mir leid, dass ich Sie störe, aber ich suche Schenja.«
    »Schenja, dieser kleine Scheißer. Ich sage das mit größter Zuneigung. Ein frustrierender Junge.« Platonow humpelte zu einem Schreibtisch und suchte in ein paar losen Papieren herum. »Ich möchte Ihnen die Ergebnisse des letzten Juniorturniers zeigen. Er hat absolut mittelmäßig gespielt. Und am selben Tag besiegt er den Erwachsenenmeister, aber für Geld. Für Geld spielt Ihr kleiner Schenja völlig anders. Aber das ist ein Club für Menschen, die Schach lieben, und kein Casino.«
    »Ich verstehe.« Arkadi sah ein »Spenden«-Glas; es war halb voll Münzen.
    Platonow gab seine Suche auf. »Entscheidend ist, dass Schenja sein Spiel ruiniert. Keine Geduld. Jetzt überrascht er seine Gegner, weil er noch ein Junge ist, und dann schlägt er aus heiterem Himmel zu. Wenn er auf der nächsthöheren Ebene spielt, werden die anderen ihn mürbe machen.«
    »Haben Sie Schenja in den letzten vierundzwanzig Stunden gesehen?«
    »Nein. Vorgestern, ja. Da habe ich ihn wieder rausgeworfen, weil er um Geld gespielt hat. Er darf gern wiederkommen, wenn er spielen und lernen will. Haben Sie schon mal gegen ihn gespielt?«
    »Das hätte keinen Sinn. Ich bin für ihn kein ernst zu nehmender Gegner.«
    Platonow kratzte sich am Kinn. »Sie arbeiten bei der Staatsanwaltschaft, nicht wahr? Nun, Intelligenz ist nicht alles.«
    »Gott sei Dank«, sagte Arkadi.
    »Schach erfordert Disziplin und Analyse, wenn man an die Spitze kommen will. Und wenn man beim Schach nicht an der Spitze ist, wo ist man dann?« Platonow spreizte die Hände. »Dann bringt man Idioten die Grundlagen der Eröffnung bei. Links, rechts,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher