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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche
Autoren: Fritz J. Raddatz
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geliebt werden. Da will sich einer im Namen der Literatur öffnen und hofft auf die Offenheit derer, die er so hingebungsvoll liest. Raddatz kann polemisch sein, hochfahrend, schneidend und selbstverliebt, aber die Sehnsuchtstonlage, die sein Schreiben sucht, ist die Zärtlichkeit. Dorthin zu gelangen, wo jeder Mensch verletzlich ist. Schönheit und Wahrheit werden von Raddatz so ernstgenommen, weil er überzeugt ist, daß sich im Schönen und Wahren Wege öffnen zur Zartheit der Menschen.
    In seinem Nachruf auf den Maler Paul Wunderlich schreibt er: «Manchen war ich sehr nahe wie James Baldwin oder Günter Grass oder Alberto Moravia. Geliebt habe ich diesen einen.» Um Nähe geht es ihm immer – in seinen großen Interviews wie in seinen Portraits. Und an solcher Nähe will er als Dritten den Leser teilhaben lassen, als hätte die Nähe und die Zartheit die Kraft, die ganze Welt zu verwandeln. In einem der schönsten Stücke dieses Bandes erzählt Raddatz die verrückte, obsessive Affäre, die William Faulkner mit dem Hollywood-Scriptgirl Meta hatte, die aber nie mehr als eine Affäre werden konnte, weil Faulkner die Tatkraft oder die Gewissenlosigkeit nicht hatte, seine Frau – ein Lebenswrack – und sein Kind zu verlassen. Da spricht Raddatz von Faulkners «kindlich-unstillbarem Bedürfnis nach Zärtlichkeit» – und man merkt sofort, wie nah er den Worten seines Protagonisten ist. «Zwischen Gram und Nichts entscheide ich mich für den Gram», heißt es in Faulkners «Wilden Palmen». Das wäre auch Raddatz’ Präferenz, der die sublime Schwäche liebt, weil sie seine Gabe des Erbarmens zuallererst zum Zuge kommen läßt.
    Wie anders sieht das bei Brecht aus, der Raddatz ein Leben lang begleitet, ohne daß je Nähe aufkäme, stets nur Faszination.
    Und das große Weib Welt, das sich lachend gibt
    Dem, der sich zermalmen lässt von ihren Knien
    Gab ihm einige Ekstase, die er liebt
    Aber Baal starb nicht: Er sah nur hin.
    Raddatz resümiert die Brecht-Haltung so: «Es gilt wohl für beide Lebensbereiche – die ästhetische Summe hieß dann ‹gestisch› –, für Erotik wie Revolution: Er sah nur hin.» Für Raddatz gilt das nicht: Seine Texte künden von seiner Bereitschaft, mehr als nur hinzuschauen, sich vielmehr gern von den Knien des «Weibes Welt» zermalmen zu lassen. Seine irritierte Bewunderung für Brecht hat mit dessen Kälte- und Distanz-Habitus zu tun, den Raddatz’ untaktisch überfließendes Herz nicht kennt. «Es ist eine Prosa», schreibt Raddatz über Brechts Tagebücher, «wie Eisblumen, zu deren Entstehen es bekanntlich einiger Kälte bedarf. Und die, kommt man ihnen zu nahe, zerstört werden.» Die Eisblume ist nicht Raddatz’ ästhetisches Ideal. Er schätzt die Artistik, aber noch mehr liebt er die Nähe.
    Fasziniert lauscht Raddatz Ruth Berlau, die davon berichtet, wie Brecht versucht, sie gegen die Risiken des Enttäuscht-Werdens zu impfen: «Als ich einmal über einen Menschen sehr enttäuscht war, weil er nicht hielt, was wir uns von ihm versprochen hatten, nahm Brecht einen Bleistift und zeichnete mir auf: Von einem Menschen kannst du zum Beispiel so viel erwarten, von einem anderen so viel und einem dritten nur so viel. Du darfst nie beleidigt oder enttäuscht sein, wenn deine Vorstellungen nicht erfüllt werden. Dann hast du Vorurteile gehabt.» Doch diese emotionale Sicherheitsschranke, wie sie Brechts Klugheitslehre anrät, hat Raddatz nie besessen, das kann man auf jeder Seite seiner Tagebücher überprüfen. Immer wollte er sich Freunden und Kollegen verschenken, immer blieb er enttäuscht, daß so wenig zurückkam, nie wurde er klüger, nie verhärtete er sich.
    Ein Bild von Fritz J. Raddatz wäre allerdings unvollständig, wenn man nicht auch seiner durchaus hechelnden Liebe zu Frau Welt Erwähnung täte. Jenes rauschhafte Verfügen über die Luxusgüter der Welt, wie es das Geld ermöglicht, jenes Vergnügen am Tratsch, der einer Gesellschaft gilt, auf deren Festen man sich zumindest zeitweilig im Mittelpunkt wähnen darf, jenes kennerhafte Bescheidwissen über die Geheimtipps des gehobenen Geschmacks – das alles erhitzt Raddatz zu sehr, als daß er seine Hingabe an die Welt erfolgreich camouflieren könnte. Zwar macht er sich, der sich zum Adel des Geistes zählt, mit gebotenem Spott lustig über die mondänen Statussymbole, aber es ist dabei ein Überschuß des Bescheidwissens, der den heimlich Liebenden verrät: «Wir sind ja nun alle so schrecklich
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