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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche
Autoren: Fritz J. Raddatz
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anständig, noch wahrhaftig. Die Hauptfrage, mehrfach gestellt, heißt: «Wo war Gott?» Benedikt  XVI . umschlingert sie, mehr schlau als hehr. Er spricht von Gott («dem wir glauben») als einem Gott der Vernunft, als einem Gott, «der selbst in die Hölle des Leidens abgestiegen» sei. Wann? Wo? In Auschwitz? Und warum hat dieser Gott das Massaker gerade an den Juden beschwiegen, geschehen lassen? So fahrlässig formuliert ist der Glaube eine klingende Schelle. Denn keineswegs war es eine schwer benennbare Anzahl «Unschuldige», die ausgerottet werden sollten und wurden. Von den 1 , 1  Millionen Auschwitz-Opfern war 1  Million jüdisch. Alle durch die Hand einiger von «einer Schar» Mißgeleiteter gemeuchelt? Gab es nicht Wurzeln? Das Wort Antisemitismus kommt bei den 2 300 Wörtern des redenden Gebets nicht vor. Also gab es keinen christlichen, kirchlichen, katholischen Antisemitismus. Das hat den schalen Beigeschmack der Schläue.
    Nun ist der Herr Ratzinger keine Dumpfbacke; vielmehr hochintelligent. Folglich fügt er den bewegenden Psalm  44 ein, das Flehen der zum Untergang Geweihten: «Du hast uns verstoßen an den Ort der Schakale und uns bedeckt mit Finsternis … Um deinetwillen werden wir getreten Tag für Tag, behandelt wie Schafe, die man zum Schlachten bestimmt hat. Wach auf, warum schläfst du, Herr?»
    Doch der Papst, in hartnäckiger Schönschreiberei, verweigert auch nur den Versuch einer Antwort; geschweige denn – was seine Vorgänger durchaus taten – ein Schuldeingeständnis. So wird eine Todesfabrik ins Unbegreifbare weggeschunkelt. Das ist Frömmelei-Geschwätz, Soutanen-Salbaderei. Jeder Vater, der seinen Sohn ohne Beine aus Vietnam zurückbekam; jede Mutter im Kongo, die ihren toten Kindersoldaten beweint; jeder Bruder, dessen Nächster in Tel Avivs Schnellrestaurant von einem Selbstmordattentäter zerfetzt wurde, fragt: «Wo war Gott?» Wer auf dem Stuhle Petri sitzt, hat die Pflicht, diese Frage nicht hinter weihrauchverhangenen Phrasen verschwinden zu lassen: Er muß sich – für uns – des Themas annehmen, ob es einen bösen Gott gibt, einen abweisenden und abwesenden Rachegott; ob da ein Gott ist, der ein ganzes Volk – das jüdische – seit Jahrtausenden ins Elend verstoßen hat, in Not, Tod und Untergang. Der Papst hat versagt; er hat sich ins Huldvolle zu retten versucht – nicht einmal den Begriff «Sünde» (immerhin von den französischen Bischöfen 1977 eingestanden) hat er gefunden. Hat Gott auch versagt? Ist er ohne Huld?
    « DAS PLATEAU », 2 .  10 .  2006

Der rote Teppich
    Was eigentlich sind «militärische Ehren»? Es werden etwa verdiente Politiker mit «militärischen Ehren» beigesetzt; andere – allzu oft weniger verdiente – mit «militärischen Ehren» empfangen. Nicht nur Bundespräsident Köhler schritt bei seinem ersten Auslandsbesuch an einem Spalier zirkusreif ausstaffierter Polen entlang, possierlich anzuschauen in weißen Gamaschen, weißen Handschühchen und Patronentaschen aus weißem Lackleder, wie er seinerseits am 10 . November 2005 den chinesischen Präsidenten, der viele ICE -Züge kaufen will, mit «militärischen Ehren» empfing; auch Papst Benedikt  XVI . wurde bei seinem Köln-Besuch am 18 . August 2005 von einer Ehrenkompanie empfangen, der Hirte der guten Seelen, dem der italienische Kulturminister Rocco Buttiglione bescheinigte «Der Papst hält jeden Krieg für falsch»; er ließ sich von Uniformierten begrüßen, die zum Töten erzogen werden – ein Wunder, daß er nicht noch die Waffen segnete.
    Haben Soldaten also eine andere Ehre als Schornsteinfeger, Autohändler oder Romanschriftsteller? Worin bestünde sie dann? Oder verleihen sie – Toten und Lebendigen – eine Ehre, die anderen Menschen nicht gebührt,
recte
: abgesprochen wird? Sind es nur diese wie einst Hotelpagen geschmückten Operettensoldaten, gerne verwendet man Matrosen dazu, die diese besondere Ehre haben und weiterreichen – und ölverschmierte Panzerfahrer oder die ja auch recht adretten Piloten nicht? Und was tun die eigentlich, wenn sie nicht diesen albernen roten Teppich säumen, auf dem dann ernsten Gesichts der ehemalige Geheimdienstmann Putin entlangschreitet oder ein in dramatische Gewänder gehüllter Potentat aus Afrika? Verrichten die schmucken jungen Burschen tagsüber Kasernendienst in Waschräumen, unter defekten Lkw oder in der schwitzigen Mannschaftskantine? Fragen wird man ja mal dürfen. Vielleicht sind es – auf
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