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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche
Autoren: Fritz J. Raddatz
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unsere, der Steuerzahler, Kosten – geheimnisumwitterte Eliteeinheiten, die Tag und Nacht, wenn sie nicht gerade «das Gewehr über» paradieren müssen, unentwegt ihre Handschuhe waschen, ihre Gamaschen bügeln, ihre schneeweißen Koppel wichsen und sich jene starre Kopfhaltung antrainieren lassen, die sie zu Puppen eines längst vergangenen Kults machen.
    Nun hat es gewiß seine aparte Komik, trifft die Queen of England in Berlin ein, wo sie mit 30  Kammerzofen, Büglerinnen, Make-up-Damen und Ankleidedomestiken ein bis zwei Etagen im Hotel Adlon belegt. Das hat immerhin noch den Charme ihrer kühnen Hüte in gewagtesten Bonbon-Farben, und die begrüßenden Böllerschüsse (was übrigens ist ein Böller?) auf dem Flugplatz Tegel sind das ferne Echo einer ehemaligen Großmacht, die mit Karossen-Ritual, Krone und Hermelin noch immer so tut, als ob. Eine leere, aber lustige Winke-winke-Zeremonie, ein Museum mit der Eigenart, daß die Bilder sich bewegen; außer der berühmten Handtasche, in der nichts ist – kein Hausschlüssel, keine Kreditkarte, keine Puderdose: wird die auf den Tisch gestellt, sind Essen, Festreden und Gespräch – sogar das über Pferde – beendet, und man hat zu gehen. Ein possierliches Märchen unter dem Motto «Es war einmal …».
    Doch der Genosse Putin, der Mr. Bush, der dubiose Signor Berlusconi, der Teleprompter-erfahrene Herr Köhler? Das sind doch unsere Angestellten, nichts anderes! Sie sind Gehaltsempfänger mit Dienstwagen wie jeder FAZ -Redakteur. Sie sind weder gesalbt noch gebenedeit, nicht erwählt, sondern (auf Zeit) gewählt. Ich kann vor dem vielfachen Lügner Herbert Wehner nicht mehr Respekt aufbringen als vor Paul Celan. Aber jene – Wehner u.a. – werden per Staatsbegräbnis geehrt.
    Sie haben keine andere Ehre als wir (manche mögen Verdienste haben; die hat ein Chirurg auch) – und es gebührt ihnen keine andere Ehre, kein anderer Respekt als der Krankenschwester oder dem Opernregisseur. Sie tragen oft große Verantwortung, gewiß, und der Unterschied der Entscheidung, ob man sein Land an einem Krieg teilnehmen läßt oder ob man das im Fernsehen lediglich kommentiert – der sei gerne zugegeben. Aber das ist ihr Job, sie haben sich darum beworben, niemand wird gezwungen, Außenminister oder Kanzler(in) zu werden – und sie werden dafür ordentlich bezahlt. Basta.
    Die bigotte Ufa-Film-Staffage dieser neckisch herausgeputzten Oberkellner mit Flinte statt der Weinkarte ist auf ärgerliche Weise überflüssig. Es ist gleichsam ein historischer Blinddarm: Würde er entfernt, der Organismus des Staates fiele nicht zusammen.
    « DAS PLATEAU », 93 / 1 .  2 .  2006

Kindesmißbrauch
    Das Wort bereits würgt einen im Halse. Selten sind sich wohl alle Menschen so einig in ihrem Abscheu vor einer Untat – im Wald, in der Garage, auf des Onkels Sofa – wie im Fall der Schändung eines Kindes; gleich, ob Mädchen oder Junge.
    Zugleich aber werden wir täglich «Tatzeuge» geldgierigen Verschacherns von Kindern, deren Eltern sich ganz offenbar nicht schämen: in der Fernsehwerbung nämlich. Es gibt buchstäblich so gut wie kein Produkt, für das nicht ein niedlich gelocktes Kind Werbung macht: ob die fürsorgende Hausfrau im Fleischerfachgeschäft die Ware prüft, Baby im Arm; ob die Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften für sich – «klotzen, nicht kleckern» – werben, indem ein Herzchen mit Bauklötzen spielt; ob für Renault-Autos (bekanntlich besonders geeignet für Kinder), Yoghurt oder Hohes C: Es ist allemal ein «O-Gott-wie-süß»-Schnäuzchen, das irgendein pfiffiger Werbefachmann uns so reizend ins Wohnzimmer schickt. Ein beschmierter Kindermund vor Knorrs Fertiggerichten wird in diesem ekelhaften Kinderhandel ebenso (auf Litfaßsäulen) eingesetzt wie ein scheinbar sehr frühreifes Wesen, das bereits für die Postbank zu werben hat (aber, natürlich, gar nicht weiß und wissen kann, was eine Bank ist). Egal, egal – eine mächtige Industrie schert sich nicht um diesen Kinderhandel, benutzt ihn vielmehr. Wo die Nackte auf dem Kühler des flotten neuen Cabrios vielleicht ihre Reize schon verbraucht hat – da ist die liebe Kleine für den Melitta-Kaffee noch allemal «frisch». Iglo-Gemüse, Jacobs-Kaffee, Disc-Kekse – es scheut sich keine Firma vor dieser Kinderpornographie. Denn das genau ist es; die offenbar ungebremste Gier nach Geld ist ebenso rücksichtslos wie manch Kranker, der kaum weiß, was er tut. Diese aber wissen, was sie
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