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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Autoren: Armistead Maupin
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wirst mir fehlen!«
    Er gab ihr einen kleinen, etwas förmlichen Kuß auf die Wange. »Paß gut auf dich auf«, sagte er.
    »Mach ich.«
    »Ich hab Michaels Schlüssel bei Mrs. Madrigal gelassen.«
    »Ist gut«, sagte sie.
    »Sein Toaster muß zur Reparatur, fürchte ich. Er hat vor ein paar Tagen den Geist aufgegeben.«
    »Ich sag’s ihm. Kein Problem.«
    Sie sahen sich ratlos an.
    »Schreibst du mir?« fragte sie schließlich.
    Er strich ihr übers Haar. »Mit Schreiben bin ich nicht sehr gut.«
    Sie lächelte. »Ich auch nicht.«
    »Sag Brian einen Gruß von mir«, sagte er. »Im richtigen Moment.«
    »Mach ich.«
    »Tja … ich glaube, ich geh jetzt. Mein Taxi ist wahrscheinlich schon …«
    »Simon, bitte sei mir nicht böse.«
    Er betrachtete eine Weile ihr Gesicht, dann beugte er sich vor und küßte sie auf die Stirn. »Niemals«, sagte er leise.
    Und ging fort. Als es Nacht wurde, versuchte sie, sich irgendwie abzulenken, doch sie konnte die Angst, die sie quälte, nicht abschütteln. Als Viertel nach sieben das Telefon läutete, stürzte sie sich wie eine Wahnsinnige auf den Hörer.
    »Hallo«, sagte sie heiser.
    »Hallo. Hier ist DeDe.«
    »Oh … hallo.«
    »Stör ich?«
    »Nein«, log sie.
    »Gut. Also, D’or und ich dachten, ob ihr vielleicht Lust habt, mit uns auszugehn. Mutter paßt auf die Kinder auf, und wir wollten als unternehmungslustige Girls die Stadt ein bißchen unsicher machen.«
    »Das ist lieb von euch«, sagte Mary Ann.
    »Aber?« hakte DeDe nach.
    »Na ja … Brian ist im Moment nicht da.«
    DeDe hörte die Unsicherheit in ihrer Stimme heraus. »Ist … äh … ist was?«
    »Ja. Mehr oder weniger.«
    »Klingt eher nach mehr«, sagte DeDe.
    Mary Ann zögerte. »Wir hatten Krach.«
    »Oh.«
    »Richtigen Krach, DeDe. Ich mach mir Sorgen. Er ist heute früh weggegangen, und ich hab noch nichts von ihm gehört.«
    »Der kommt schon wieder.«
    »Das ist es nicht«, sagte Mary Ann. »Er war nicht mehr in der Verfassung, um Auto zu fahren. Er hat die ganze Nacht gekokst, und … ich weiß nicht, ich hab einfach ein mulmiges Gefühl.«
    DeDe schien zu überlegen. »Hat er ’ne Andeutung gemacht, wo er vielleicht hin will?«
    »Na ja … so quasi.«
    »Nämlich?«
    »Äh … zu Theresa Cross.«
    »Herrje, wie hat er die denn kennengelernt?«
    »Durch mich«, sagte Mary Ann lahm.
    »Ein großer Fehler«, sagte DeDe.
    »Das macht mir im Augenblick die wenigsten Probleme. Damit werd ich schon fertig. Ich will bloß sicher sein, daß er nicht … du weißt schon.«
    »Klar.«
    »Mir ist lieber, ich weiß, wo er ist …«
    »Na ja«, meinte DeDe, »sie wohnt nur eine halbe Meile von hier. Ich kann mal bei ihr vorbeifahren und nachsehen, ob sein Auto in der Einfahrt steht.«
    Mary Ann fiel ein Stein vom Herzen. Natürlich. »Ach, DeDe … würdest du das tun?«
    »Na komm. Klar doch. Ich ruf dich in ’ner halben Stunde zurück.«
    »Es ist der Le Car«, sagte Mary Ann. »Und paß auf, daß sie dich nicht sieht.«
     
    Es wurde eher eine Dreiviertelstunde, doch sie hatte schon nach dem ersten Läuten den Hörer in der Hand.
    »Ja?«
    »DeDe.«
    »Und?«
    »Der Wagen ist nicht da, Schatz.«
    »Oh.«
    »Sie könnten natürlich weggegangen sein. Ich meine … ich würde keine voreiligen Schlüsse ziehen. Du weißt nicht mal, ob er überhaupt zu ihr gefahren ist.«
    »Nein.«
    »Mach dir bitte keine Sorgen, Schatz.«
    »Ist gut.«
    »Es ist noch früh am Tag«, sagte DeDe. »Vielleicht besucht er bloß einen Freund.«
    »Ja.«
    »Hast du Valium da?« fragte DeDe.
    »Ja.«
    »Dann nimm eine, eh du ins Bett gehst.«
    Mary Ann befolgte den Rat.

Mary Ann kriegt Zustände
    Die Trauerfeier fand in einer kleinen Kapelle statt, die mit Schindeln verkleidet war und orangerot und grün schillernde Fenster hatte. Mouse stand neben ihr und hielt ihre Hand. Sie weinte mehr als er, aber sie wußte, daß er sich inzwischen wohl schon ausgeweint hatte. Als der Organist die ersten Takte von »Turn Away« spielte, wandte sie den Kopf zur Seite und sah, daß die Fenster gar nicht verglast waren: Dutzende von orangeroten und grünen Papageien hockten übereinander auf Sitzstangen und bildeten ein geometrisches Muster. Einer nach dem anderen flog in den sternenlosen Himmel, und Dunkelheit strömte wie flüssiger Teer in die Lücken, die sie hinterließen …
    Das Telefon läutete.
    Fast automatisch tastete ihre Hand in der Dunkelheit nach dem Hörer. Sie krächzte etwas Unverständliches in die Muschel.
    »Mary Ann?«
    Es
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