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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen
Autoren: Samuel R. Delany
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über das aufgerissene Pflaster der Austernavenue stolperte. Gibt es einen Grund, weshalb ich seinem gebrochenen Geist oder seinem gequälten Körper folge? dachte er. Aber er stapfte trotzdem hinter ihm her. Zwei Blocks weiter schlug Nonik eine andere Richtung ein. Er hob die Augen zu den rußgeschwärzten Ruinen, die sich gegen den Himmel abhoben. Und Arkor versuchte eine Barrikade gegen das aufzustellen, was aus Noniks Geist auf ihn einhämmerte.
     
    … Der Sturz der Türme, o großer Christus, der Sturz der Türme, und die nackte Klinge bauchvergraben und strömend, der Sturz der Türme; ich höre sie schreien, ich sehe ihre Hände sich winden, um frei zu kommen, ihr Leib rückwärtsgekrümmt, die Haut zerrissen, bedeckt mit Blut und Staub und Trümmerteilen, ein Strom von Abfall auf der Straße, schreiend, ihre kleinen Hände versuchen nach meiner größeren Hand zu greifen, Ziegel und Eisen winden sich, um freizukommen, der Sturz der Türme, meine Fahne und meine Stütze zerschmettert, mein Herz losgerissen, ihr Ungetüm von dicken Schlingen aus Streben, Kabeln, Mörtel und Ziegeln umwunden …
     
    »Was wollen Sie?« flüsterte Arkor erneut, und Nonik blickte sich mit feuchten Wangen um. »Sagen Sie es mir«, bat der Riese. »Es wird leichter für mich sein, es Ihnen zu geben, als weiter Ihre Gedanken anhören zu müssen.« Furcht flammte in Noniks Augen auf. Er drehte sich um und rannte davon. Aber es war nicht schwer, ihm zu folgen. Seine Gedanken knisterten wie statische Entladungen durch die Straßenruinen.
     
    … eine flammende Frau sitzt im Thron meiner Augen; ein bronzener Riesenvogel, flügelwärts geworfen auf das gebrochene Feld, schmettert gegen den Eisenzaun, der den aufgerissenen Asphalt des Flughafens schützt? Der enge Knoten des Verlangens löst sich, springt auf bei den langen, düsteren Mietskasernen; Männer und Frauen, kämpfend und zweigeschlechtlich geworden, prachtvoll und eins: Wut, und jetzt drei, fünf, sieben, Terror reißt den wilden, jambischen Wahnsinn des fliehenden Kindes, chaotische Scherben formen Muster, elf, dreizehn, unendlich und primär, geordnet, unvorhersehbar wie ein Reim: ein Junge wirft einen Stein vom Dach, tief schneidet er sich in meinen Schenkel; welch größerer Beweis der Unschuld oder des Mitgefühls, als meine Augen plötzlich, einen erschrockenen Moment, die seinen treffen; nächtliche Gestalten schleichen bei Sonnenuntergang über die Kais, menschliche Aasgeier verkriechen sich in den Schatten der schrägen Schiffshüllen, sie sehen mich, ergreifen die Flucht, halten an, drehen sich um, laufen weiter, ich bin allein, schleppe mich über die Piers, während meine Augen den grauen leeren Hunger jagen …
     
    »Wachen Sie auf!« schrie Arkor. Nonik richtete sich neben der Mauer wie eine kranke Katze auf. Arkor hätte am liebsten gebrüllt: Wachen Sie auf und schweigen Sie! Aber wie soll man jemanden dazu bringen, aufzuhören zu denken. »Ich habe ein Boot für Sie, genau wie Sie es wollten.« Er wartete auf die Emotionen, die ihm entgegenwallten, ehe sie sich auf Noniks Gesicht zurückzogen und auflösten. Sie gingen nebeneinander zu dem Pier, wo Arkor das Boot entdeckt hatte. Es war verlassen und aufgetankt. Aus dem Deckhaus sah er Nonik zu dem Transitband unter dem Neumond aufschauen.
     
    … eine Peitsche aus Metall, schön und frei, aus zerfallenen Scherben springt die wie Aluminiumfolie zerknitterte See, während wir hier stehen, peitschen die Wellen entlang des Meeres aufgewühlten Spuren gequält in die Tiefe, zerschnitten vom Kiel, Tröpfchen auf einem Rad, Zeit zerquetscht durch den Druck von Licht und Muskeln, zermahlen zu verschwiegenen Teilchen zwischen Himmel und Sand, während ferne Schiffsschatten die Sterne verbergen: Narren und ihre schwebenden Gärten im Mond, hoch erhoben auf Aluminiumpontons, jäh von einer Welle stürzend, gefangen unter Genesis, im Fallen ausgeschüttet in den Schlamm, ein juwelenschwerer Totenschädel, durch dessen nasse Augenhöhlen sich Vierfältiges ergießt, dessen Knochenöffnungen von Vollendung und Erlösung zeugen, von polarer Handlung und dem Bösen, von meridionalem Tod und der Liebe …
     
    »Wohin, glauben Sie, kommen Sie auf diese Weise, Nonik?«
    »Ich – ich …«
     
    … die Vorstellung meiner rohen Handfläche, die rote Harfe meiner Sehnen ohne empfindsame Musik …
     
    »Wohin laufen Sie, Vol Nonik? Sagen Sie nicht, Sie wüßten es nicht, das glaube ich Ihnen nicht.«
    »Ich – ich
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