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Stadt der Schuld

Stadt der Schuld

Titel: Stadt der Schuld
Autoren: Eva-Ruth Landys
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Männer als ungewöhnlich empfand. Sie hatte gehofft, mit dem Umzug nach Manchester, der Stadt, die als das Zentrum der Freihandelsbewegung galt, fortschrittlichere Zeitgenossen kennenzulernen. Aber da lag wohl noch ein weiter Weg vor ihr. Sie räusperte sich. »Nun, dann darf ich Sie in den Empfangssalon bitten. Es tut mir leid, wir sind immer noch nicht ganz eingerichtet. Der kleine Speiseraum ist noch nicht fertig.«
    »Aber ich bitte Sie, Madam, deshalb müssen Sie sich doch nicht entschuldigen!«
    Mary-Ann Fountley nickte reserviert. Ashworth war ihr jetzt schon deutlich weniger sympathisch als noch vor fünf Minuten. »Ich muss auch noch einige Möbel erwerben. Godfrey hat wegen der Eröffnung seiner Kanzlei in der Stadt leider zu wenig Zeit, sich darum zu kümmern. Ich hoffe, in Manchester findet sich ein entsprechendes Angebot?«
    »Selbstverständlich, Madam! Immerhin hat sich unsere Stadt inzwischen zur zweitgrößten Metropole Britanniens entwickelt. Bei uns pulsiert das Leben, wie man so schön zu sagen pflegt.« Ashworth lächelte jovial, während er an ihrer Seite den Salon betrat, dessen Behaglichkeit durch eine schön gearbeitete Holzvertäfelung an den Wänden noch unterstrichen wurde. Mrs Fountley läutete nach der Dienerschaft und bestellte den Tee. Dann nahmen sie auf der Sitzgruppe vor dem ausladenden Kamin Platz, in dem ein wärmendes Feuer angeschürt worden war. Den ganzen Tag über war es bereits winterlich kühl gewesen und die Kälte hockte nun erbarmungslos in den hohen Räumen des Hauses. Nur in unmittelbarer Nähe des Kamins kam so etwas wie wohlige Wärme auf.
    »Tatsächlich hörte ich, dass die meisten Städte in den letzten Jahren enorm angewachsen sind«, nahm Mrs Fountley den Gesprächsfaden wieder auf. »Nicht gerade zum Wohle der Bewohner. Vor allem in den Wohngegenden der Arbeiter sollen katastrophale Zustände herrschen.«
    Ashworth zuckte mit den Schultern. »Nun ja, das mag stimmen. Allerdings scheinen sie sich in der Kloake wohlzufühlen. Warum sonst rotten sie sich zu Tausenden in diesen Löchern zusammen? Der Gestank dort ist unerträglich, sage ich Ihnen!«
    Mrs Fountley sah ihren Gast prüfend an und erwiderte dann mit leichter Schärfe in der Stimme: »Nun, vielleicht, weil sie sich keine andere Unterkunft leisten können ...?«
    Ashworth ließ sich dadurch nicht beirren. »Ach was! Ich sage Ihnen, dieses Gesindel fühlt sich wohl in seinem Schmutz! Sie sollten sich aber nicht darüber beunruhigen, Verehrteste. Manchester verfügt auch über sehr gepflegte Viertel und das Stadtzentrum hat ein beachtliches Ladenangebot vorzuweisen. Immerhin leben auch etliche ausländische Geschäftsleute hier mit ihren Familien. Allein die Deutschen stellen drei Prozent der derzeitigen Gesamtbevölkerung von Manchester! Und Sie dürfen mir glauben, dass sogar die durchaus Wert auf Komfort und kulturelles Leben legen, genauso wie unsereins. Ich kann Ihnen zum Erwerb Ihrer Innenausstattung gerne einige exquisite Ladengeschäfte empfehlen, die denen in London in nichts nachstehen.« Ashworth hielt einen Augenblick inne und meinte dann, einer plötzlichen Eingebung folgend: »Oder besser noch: Meine Gattin soll sich Ihrer annehmen. Sie wird Ihnen sicher gerne alles zeigen, was es in und um Manchester herum zu sehen gibt. Ich würde mich gerne anschließen, habe zu meinem größten Bedauern aber leider zu wenig Zeit. Die Geschäfte werden immer schwieriger seit dieser grandiosen Fehlentscheidung des Parlaments.«
    »Oh, ich nehme an, Sie beziehen sich auf die Ablehnung der Freihandels-Resolution im März letzten Jahres«, hakte Mrs Fountley interessiert ein und vergaß in ihrem Eifer ganz, ihrem Gast für sein freundliches Angebot zu danken. Das Thema interessierte sie brennend. Sie hatte diese Sache in den vergangenen Monaten mit Godfrey immer wieder diskutiert und letztlich war der verwegene, aber erfolgversprechende Plan, der ihnen schließlich eingefallen war, ausschlaggebend für ihren Umzug nach Manchester gewesen. »Ja, das war wirklich eine unverzeihlich dumme Entscheidung der Regierung. Das Parlament riskiert leichtfertig größere Unruhen in der Bevölkerung ...«
    In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum Salon und der Hausherr trat ein. Mrs Fountley hielt in ihren Ausführungen inne, erhob sich freudig und ging ihrem Gatten entgegen, der sie mit einem zärtlichen Kuss auf die Wange bedachte. Auch Ashworth stand auf, um den Hausherrn respektvoll zu begrüßen. Die Ehe bekam
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