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Stadt der Lüste

Stadt der Lüste

Titel: Stadt der Lüste
Autoren: Mariah Greene
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längste Abschied der Geschichte. Ich fühle mich, als hätten wir die letzten zehn Nächte durchgefeiert, und dafür bin ich wirklich zu alt. Mein besonderes Dankeschön geht an Frank, der mit mir in eine kleine Bar in Midtown gegangen ist, die ich noch nicht kannte. Es ist immer gut zu wissen, was Teenager heutzutage tragen. Aber jede Party muss einmal zu Ende gehen, und diese Party endet jetzt. Ich werde euch alle vermissen.
Fast
alle. Die Zeit bei Morse Callahan war außerordentlich lehrreich für mich. Ich werde an euch denken und es euch wissen lassen, wenn ich die nächste lehrreiche Erfahrung mache. Ihr kennt mich ja – ich bin schrecklich unsentimental, was Abschiede anbelangt, und da ich jedem von euch bereits persönlich auf Wiedersehen gesagt habe, fehlt jetzt nur noch der Abschied in die Runde. Vielen Dank.«
    Höflicher Applaus ertönte. Roger legte seine Hand auf ihren Arm.
    »Hast du all deine Sachen?«, fragte er.
    »Ja. Nur eine Aktentasche und eine Reisetasche. Der Rest wird verschifft.«
    »Ich begleite dich nach oben, wenn du nichts dagegen hast.«
    »Natürlich nicht.«
    Während sich Emma und Roger einen Weg durch die Menge bahnten, riefen ihr noch einige Kollegen »Auf Wiedersehen!« zu oder tätschelten ihre Schulter. Nachdem sie ihren Mantel und ihre beiden Taschen geholt hatte, betraten Roger und sie den Aufzug. Auf dem Weg zum Dach verlor er kaum ein Wort. Emmawusste, dass er sich immer noch wünschte, sie wäre geblieben.
    »Ich fühle mich gerade genauso wie an dem Tag, an dem meine Tochter geheiratet hat«, brach er schließlich das Schweigen.
    »Du kannst ja Reis streuen, wenn du willst, Roger.«
    »Kurz bevor wir uns auf den Weg zur Kirche machten, habe ich zu ihr gesagt: ›Du kannst es dir immer noch überlegen. Selbst jetzt noch. Ich würde dir keinerlei Vorwürfe machen.‹ Dasselbe gilt auch für dich, Emma.«
    »Roger, bitte sag mir nicht, dass du mich nur begleiten wolltest, um mich doch noch rumzukriegen.«
    Er lächelte, erwiderte aber nichts. Der Aufzug kam sanft zum Stehen.
    Die Skyline Manhattans leuchtete im Licht der untergehenden Sonne wie die Glut eines sterbenden Feuers. Auf dem Dach wehte ein starker Wind, und durch den Lärm des Hubschraubers konnte man kaum etwas verstehen.
    »Danke, dass du mir den Hubschrauber zur Verfügung stellst«, sagte Emma. »Aber ich hätte auch eine Limousine nehmen können.«
    »Ach was«, erwiderte er und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe sogar nachgefragt, ob die Concorde heute Nachmittag auf dich warten würde, aber darauf hat man sich nicht eingelassen. Du wirst also mit der ganz normalen ersten Klasse auskommen müssen.« Sein Lächeln verwandelte sich in ein Lachen.
    »Danke für alles, Roger. Ich melde mich bei dir.«
    Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die bärtige Wange. Dann ging sie auf den Hubschrauber zu, und ihr kurzes Kleid flatterte im Luftwirbel der Rotoren, bevor sie einstieg.
    Als der Helikopter startete und sie in den immer dunkler werdenden Himmel trug, sah sie, wie Roger ihr nachschaute, aber sie konnte nicht erkennen, ob er lächelte oder eine Grimasse schnitt. Dann betrachtete sie die Patek-Philippe-Uhr und las die Gravur auf der Rückseite: »Von deinen Freunden bei MC.« Sorgfältig legte sie die Uhr wieder in die Schachtel, verstaute diese in einem Fach ihrer Aktentasche und fragte sich, ob sie je wieder einen Blick darauf werfen würde.

Zwei
     
    An einem kühlen Donnerstagmorgen in der Kings Road hätte die Wall Street nicht nur wenige tausend, sondern genauso gut eine Million Kilometer entfernt sein können. In den zwei Tagen nach ihrer Ankunft in London war Emma Fox in eine neue Wohnung gezogen, hatte sich mit neuer Garderobe eingedeckt und mit niemandem ein Wort gesprochen. Jetzt steuerte sie entschlossen auf ihr Ziel zu, die Lomax-Immobilienagentur, die sie sich bereits vier Monate zuvor während eines geheimen Besuchs angesehen hatte. Dank der Concorde war sie innerhalb von drei Tagen nach London und wieder zurück nach New York geflogen, und sie vermisste bereits dieses Gefühl von Unabhängigkeit. Die Uhr von Patek Philippe lag immer noch unberührt in der Schachtel. Emma hatte sogar ihre eigene Armbanduhr von Raymond Weil durch ein älteres Modell ersetzt, das sehr viel teurer war, als es aussah. Genau diesen Eindruck wollte sie mit ihrem gesamten Auftreten vermitteln: auf den ersten Blick nicht so exklusiv zu wirken, wie sie war. Sie betrat das Gebäude der
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