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Spurschaden

Spurschaden

Titel: Spurschaden
Autoren: Simon Halo
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nochmal drin lesen«, sprach Silke mit leicht zitternder Stimme – aber entschieden – in Richtung ihrer Schwester und zeigte damit deutlich, dass sie keine Widerrede ertragen würde.
    »Genau die gleiche Idee hatte ich eben auch!«, flüsterte Esther leise in Maries Ohr, aber extra so laut, dass Silke es noch verstehen konnte.
    »Was!? Du kleine …« Silke petzte ihrer Schwester kräftig in den Arm, und man konnte dem blauen Fleck bei seiner Entwicklung regelrecht zuschauen.
    »Achtung, Gedankenübertragung!«, warnte Marie, während sie mit einigen Kitzel-Attacken die beiden Schwestern von deren Streitigkeiten abzulenken versuchte.
    »Das macht sie nur, wenn wir nicht allein sind!«, sprach Silke gereizt vor sich hin. »Und abends im Bett kommt sie wieder angekrochen, will sich an mich kuscheln.«
    »Ist doch nur Spaß!«, erwiderte Esther sofort. »Hab dich doch lieb!« Dann drückte sie ihren Mund fest auf Silkes Backe und kurz danach folgte ein lauter Schmatzer.
    »So, jetzt müssen die zwei lieben Kuschelengel aber wieder zurück in ihre Betten fliegen!«, sagte Marie mit einem sanften Befehlston und ließ ihren Blick für einige Sekunden auf der Wanduhr verweilen. »Bald kommen schon die nächsten Gratulanten.«
    »Wer kommt?«, fragte Silke verdutzt.
    »Niemand. Sollte ein Scherz sein«, erwiderte Marie schnell und zwickte beide Schwestern so, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als aufzustehen. Einige Minuten und etliche Argumente später sahen es die Zwillinge mehr oder weniger ein, warum das Geburtstagskind darauf bestand, sie beide persönlich in ihr Zimmer zurückzubringen. Und so schlichen – leicht zitternd, eng beieinander – drei Gestalten in ihren Nachthemden barfuß durch den dunklen Flur.

4
    Brrrrrrrr Rattttttaaaaattttttaaaaa Brrrrr Rattttaaaattttaaa …
    Das Geräusch des sich im Leerlauf befindenden 16 PS starken Zweizylinder-Zweitaktmotors durchbrach die Stille der Nacht; doch es gab niemanden, den das stören konnte. Der bei Tageslicht hellblaue Dreiradlieferwagen rüttelte sich leicht, während er beladen wurde. Es war die umgebaute Spezialversion, die sich besonders für den Viehtransport eignete. Das Modell Goli des Herstellers Goliath machte mit seiner Nutzlast von über 700 Kilogramm seinem Namen alle Ehre – Baujahr 1961. Das Jahr, in dem der Automobilhersteller regelrecht gegen die Wand gefahren war: Konkurs.
    Marc Schlund nahm das Schattenspiel nicht wahr, das sein Körper im Schein des schwachen Standlichts so groß und erhaben an der Außenwand der Scheune vorführte. Während das Schneetreiben abnahm, zogen zwei stark behaarte Männerhände den letzten Behälter über den platt getretenen Schnee zur Ladefläche. Mit einem routinierten Schwung hievte der 50-jährige Bauer das Behältnis zu den anderen und zurrte gewissenhaft die Sicherungsbänder fest, damit das Transportgut nicht verrutschen konnte. Er dachte an seine Frau, die bekannte Meeresbiologin. Er dachte an den Tag in exakt drei Wochen, wenn er sie wiedersehen würde.
    Marc war nicht besonders vielseitig – manche sagten, er wäre nicht besonders schlau –, doch bei allem, was er tat, war er stets konsequent. So hatte er damals seiner zukünftigen Frau ein Würfelspiel vorgeschlagen, damit die Wahl des gemeinsamen Nachnamens fair entschieden würde. Denn Marc war schlau genug gewesen, um zu erkennen, wie sehr seine große Liebe an ihrem Namen hing. Die Würfel fielen – er verlor.
    Mit der Zeit hatte er die Tätigkeiten eines Viehzüchters und Bauern zur Perfektion verinnerlicht, und das merkte man seinen Erzeugnissen an. Neben dem ursprünglichen klösterlichen Hauptabnehmer kamen auch einige exklusive Edelrestaurants in aller Welt dazu. Auf dem Landweg, per Luft oder zu Wasser wurden seine Internetkunden beliefert; das Geschäft lief gut. Der ansprechende Internetshop war die Leistung seines hochbegabten Sohnes – der Sohn das Ergebnis eines vorehelichen Geschlechtsverkehrs.
    »Such dir unbedingt eine Frau, die klüger ist als du!«, hatte sein Vater ihm auf dem Sterbebett noch mitgegeben. Und der junge Marc hatte der Aufforderung umgehend Folge geleistet. Das, was ihm an Intelligenz fehlte, machte er durch sein animalisches Aussehen wieder wett. Zumindest damals hatte er damit den einen entscheidenden Treffer landen können.
    »Voll ins Schwarze!«, hätte sein Vater gesagt, als Marc im Alter von 19 Jahren die knapp fünf Jahre ältere Petra schwängerte. Sie befand sich mit ihren Studienkollegen auf einer
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