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Spurschaden

Spurschaden

Titel: Spurschaden
Autoren: Simon Halo
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überraschend fest. Der geheimnisvolle Trank musste ihn gestärkt haben.
    »Bekleide dich und folge mir!«
    Diesen Befehlston war er zwar nicht gewohnt, aber in der jetzigen Situation wollte er sich nicht beschweren. Außerdem hatte sie ja recht: Er war nackt. Das hatte er beinahe vergessen. Zwar gab es nichts an seinem Körper, dessen er sich schämen musste, doch hier und jetzt wollte er dieser Aufforderung gerne Folge leisten.
    Mehr tastend als sehend griff er auf dem Boden nach etwas, das seinem Gewand ähnelte und zog es an. Der Stoff war feucht und stank, schien aber seiner zu sein. Festeres Schuhwerk fand er auch. So folgte er zügig seiner Retterin, hörte sie schnell, aber nicht hektisch atmen.
    Es war lange her, dass er dem anderen Geschlecht so nahe war. In seinem Leben hatte es nur ein Weib, seine Frau gegeben. Und die hatte ihm mehr gegeben, als er sich je hätte erträumen lassen. Doch der Preis war hoch gewesen; mit ihrem Leben hatte sie dafür bezahlen müssen. Nun war er daran, sich für das zu opfern, was ihm wichtig war: der Schatz, er musste ihn um jeden Preis beschützen – aber auch die Person, die gerade dabei war, ihn aus diesem Verlies zu befreien. Er würde nicht zulassen, dass sie zu Schaden käme, selbst wenn er wieder zum Schwert greifen und seinen Schwur brechen müsste.
    Mitten in diesen Gedanken nahm er plötzlich eine den ganzen Körper erfassende Wärme wahr. Tief aus seinem Inneren heraus spürte er etwas, das jeden seiner Muskeln entspannen ließ und ihm das Gefühl vollkommener Gelassenheit gab: Die zahlreichen Abschürfungen und offenen Wunden an seinem Körper – vergessen. Der die letzten Jahre seine Seele zerfressende Schmerz über den Verlust seiner Frau und beider Töchter – verdrängt. Wie in einem Rausch setzte er einen Fuß vor den anderen. Dann stoppte er, gezwungenermaßen.
    Überrascht schaute er auf die Hand, die die Person vor ihm plötzlich nach oben streckte. »So klein«, dachte er, während er auf seine Retterin herabblickte. Er war mindestens drei Kopf größer als sie. Zwar war ihre Gestalt nur ansatzweise sichtbar, doch die Fackeln des unmittelbar vor ihnen liegenden Flures gaben einen Blick auf ihr Gewand frei.
    »Eine Nonne?«, dachte er verblüfft und wollte gerade auf etwas mehr Distanz gehen, als er den Grund erkannte, warum diese offensichtlich zurückgewichen war, warum sich deren Körper immer fester an seinen drückte: Aus der Ferne erklang aneinanderreibendes Metall. Ein Geräusch, das sein geübtes Ohr sofort näher zuordnen konnte.
    »Templer«, schoss es ihm durch den Kopf, und für einen kurzen Moment lähmte Angst sämtliche seiner Glieder. Nein, nicht um sich sorgte er sich. Aber was würde mit ihr geschehen, wenn man sie zusammen mit ihm sah? Nonne oder nicht. An die speziell für das weibliche Geschlecht konstruierten Folterwerkzeuge mochte er erst gar nicht denken. Sie war jedenfalls jung und selbstbewusst, das hatte ihm ihre Stimme unmissverständlich verraten. Genau die Eigenschaften, die ihre zukünftigen Peiniger umso mehr anspornen würden.
    »Warte hier!«, flüsterte sie entschieden, und kurz danach: »Hab keine Angst!«
    »Angst?«, wollte er ihr gerade verärgert erwidern, als er nur noch einen Luftzug wahrnahm und sie bereits hinter der Biegung des Flures verschwand. Ja, er hatte Angst, Angst um sie. Seine Gesichtszüge verzogen sich zu einer wütenden Grimasse und seine zu Fäusten geballten Hände zitterten. Was bildete sich diese kleine Kindfrau ein. Es bräuchte nur einen kräftigen Schlag von ihm und sie würde mehrere Meter durch die Luft fliegen und mit gebrochenen Knochen am Boden liegen. Und dann? Sie würde kläglich jammern und um Gnade betteln – da wäre nur Schmerz in ihrem Geist.
    Nein, er würde ganz bestimmt nicht warten! Sekunden später folgte er bereits dem Flur, der hinter der Biegung stetig anstieg und durch dessen oberes Mauerwerk taghelles Licht einströmte. Während er hastig vorwärtsschritt, schaute er an sich herab und erkannte in dem zerfetzten Gewand, das er trug, das eines Mönches – sein Gewand. Dann plötzlich ein Schrei. Und noch ein Schrei. Das Geräusch von Schwertern, die auf Rüstungen schlugen, drang in seine Ohren und aus seinem zügigen Gehen wurde ein schnelles Laufen.
    »Das muss Verstärkung sein«, dachte er beruhigt. Sie war also nicht allein gekommen.
    Nur noch wenige Schritte von dem Ort entfernt, wo der Kampf toben musste, rissen ihn erneut Schreie aus seinen Gedanken und ein
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