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Spurlos

Spurlos

Titel: Spurlos
Autoren: Manuela Martini
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zehn.“
    „Was? Warum , zum Teufel hast du es nicht gemacht?“
    Wieder die Hand, die sich müde hob und dann auf die Decke zurückfiel. „Wir hatten damals natürlich gleich die Aborigines in Verdacht“, sprach Costarelli weiter. „Wenn sie sich stritten, dauerte es nicht lang, bis sie ihre Speere in der Hand hatten und sich gegenseitig bedrohten. Und es blieb ja nicht nur bei den Kampfhähnen, nein, es kamen alle Verwandten zusammen, um ihre Angehörigen zu unterstützen. Da hat sich nicht viel geändert. Es ist noch genauso. Streit, Verletzte, Gewalt. Jeden Tag, jede Nacht steht jemand bei der Polizei vor der Tür und will, dass Hilfe kommt. Jane und ich waren sehr idealistisch damals.“
    Shane kannte einige Aborigine -Communities auf dem Festland. Oft waren Stämme aus unterschiedlichen Regionen dort zusammengelegt worden, die sich seit alters her bekämpften oder sich aus dem Weg gingen. Alkohol, Benzin als Schnüffelstoff, sonstige Drogen – all das half den Menschen, ihr perspektiveloses Leben zu ertragen. Und die Jugendlichen, vor allem die männlichen Jugendlichen, arbeitslos, ohne Bildung, gerieten fast automatisch in den Teufelskreis von Gewalt, Drogenmissbrauch – und Gefängnis.
    „ Vor einem halben Jahr war ich erst wieder da“, Costarellis Stimme war kräftiger geworden. „Rechts und links der Straße Häuser in Reih und Glied. Häuser, wie man sie in jedem Vorort hätte finden könnte. Doch sie hatten die Fenster und Türen herausgerissen und verfeuert! Sie hatten die Matratzen auf die Veranda oder einfach vors Haus gelegt! Sie können nicht in einem geschlossenen Raum leben und schlafen! Diese Häuser haben Millionen Dollar gekostet, und die Weißen sehen ihren heruntergekommenen Zustand nur als Zeichen für die Verkommenheit der Aborigines! Die Weißen glauben, sie zahlen sich dumm und dämlich für die Aborigines, die ja doch nur alles, was man ihnen gibt, zerstören! Mit Recht sagen sie: Uns baut niemand ein Haus! Die verdammten Engländer, sie haben sich als der Nabel der Welt betrachtet! Alles musste ihren Gesetzen gehorchen! Shit! Heute sind es die Yanks und morgen Moslems oder die Chinesen!“
    Shane ließ ihn reden. Costarelli schloss die Augen, und Shane dachte, er würde schlafen. Auf dem Monitor bildete die Pulsfrequenz kurz aufeinanderfolgende Spitzen. Costarelli öffnete wieder die Augen. „Von dort, wo wir Jeannie Reid gefunden haben“, sagte er, „kann man den Old Man Rock sehen.“
    Shane erinnerte sich an den aus dem Meer aufragenden Felsen in der Nähe des Ufers.
    „Die Aborigines sagen, dass er gestört wurde und deshalb ist der Zyklon Tracy über uns gekommen.“
    „Ich hab’ Brett Horkay in der Mangel, den Schriftsteller“, sagte Shane. „Er war fast an all den Orten, an denen wir Leichen gefunden haben. Und er hat einen Sinn für solche Dinge wie diesen Felsen.“
    „Horkay“, krächzte Costarelli. „Ja, damals waren ein paar Weiße auf der Insel. Leute von der Kirche, Lehrer, Ethnologen. Es kamen damals öfter Leute und gingen irgendwann wieder.“
    „Kannst du dich erinnern, ob Horkay d arunter war? Brett Horkay? Als Mary-Jane verschwand, muss er dreizehn gewesen sein.“
    „ Brett Horkay ...“ Costarelli griff nach Shanes Handgelenk. „Nimm den Wichser in die Zange, Shane!“
    „Ja, mach ich.“ S hane stand auf. Halt durch, Tony, wollte er sagen, doch er hatte schon immer solche Sätze gefürchtet.
    „Shane?“
    „Ja?“ Er drehte sich um.
    „ Nimm’ den Karton mit, und mach’ ihm richtig Feuer unterm Arsch!“ Ein trockener Husten schüttelte ihn.

7
    „Warum schließen Sie das Zimmer ab? Es wohnt doch sonst niemand hier?“
    Todd entriegelte den Türknauf. „Ich weiß nicht, ich tue es einfach.“
    Mit einem leisen Ächzen ging die Tür auf. Dunkelheit gähnte ihr entgegen. Tamara war unbehaglich zumute, als sie einen Schritt ins Zimmer tat. Fadenscheinige, lindgrüne Vorhänge hingen vor dem Fenster, es roch nach alten, staubigen Stoffen, ungelüfteten Betten und muffigen Schränken. Todd schaltete das Licht ein, eine altmodische Lampe mit einem bräunlichen Schirm hing in der Mitte des Raums von der Decke und goss ein gelbliches Licht über Möbel und Wände. Mit wenigen Blicken hatte Tamara das Inventar des Zimmers erfasst: ein von einer gehäkelten lindgrünen Tagesdecke überdecktes Doppelbett mit einem hohen Kopfteil aus dunkel gemasertem schweren Holz und eine ebensolche Kommode mit gerahmten Fotos auf einer Spitzendecke und einer
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