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Spurlos

Spurlos

Titel: Spurlos
Autoren: Manuela Martini
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verzweifelt. Detective Tony Costarelli, der erst seit zwei Monaten auf Bathurst Island die Polizeistation leitet, stand für ein Interview nicht zur Verfügung. Sein Kollege Ron Byron sagte: „Wir tun alles, um das Kind zu finden.“ Mutmaßungen, dass die umherstreunenden Hunde der Aborigines über das Kind hergefallen sein könnten und es dann verschleppt haben, wollte er nicht ganz ausschließen. Vertreter der Aborigines wiesen jedoch jede Verantwortung von sich.
    Shane nahm den nächsten Artikel vor.
    Trotz intensiver Suche fand sich auch nach einer Woche kein Lebenszeichen von Mary-Jane Costarelli. Die zweijährige Tochter von Detective Tony Costarelli und seiner Frau Jane ist am 26. Dezember aus dem Garten des Hauses auf Bathurst Island spurlos verschwunden. „Wir beten jeden Tag zu Gott, dass er uns unsere Tochter wieder zurückbringt!“, sagt die verzweifelte Mutter.
    Vermutungen, dass ein streunender Hund das Kind verschleppt haben könnte, halten Experten für unwahrscheinlich. Dass die Zweijährige sich im Busch verlaufen oder gar im Meer ertrunken sein könnte, sei weitaus wahrscheinlicher. Doch nach wie vor wird auch ein Gewaltverbrechen nicht ausgeschlossen.
    Er nahm das längliche Briefkuvert. Tony stand in kleiner, zittriger Schreibschrift darauf. Er drehte ihn um. Der Umschlag war nicht zugeklebt. Er zog eine gefaltete Seite heraus. In derselben Schreibschrift stand da:
    Bitte vergib mir, Tony.
    Ich kann nicht mehr.
    Jane
    Als Letztes öffnete er den kleinen schwarzen Umschlag. Darin lagen eine dunkle Locke von feinem Kinderhaar – und zwei goldene Eheringe.
    Wieder betrachtete er die Fotos , die Eheringe, das Kinderhaar, den Abschiedsbrief. Er packte die Sachen zurück in den Karton. Tony, dachte er als er wieder im Wagen saß, warum hast du nichts gesagt?
    Fünfzehn Minuten später stellte er den Wagen auf dem Krankenhausparkplatz ab und hastete in den ersten Stock des Hauptgebäudes.
    Costarelli lag im Bett, angeschlossen an ein Gerät, das seinen Herzschlag überwachte, und starrte an die Decke. Man hatte ihm eine Infusion angelegt. Er war allein im Zimmer, das von einer an der Decke angebrachten Neonröhre grell erhellt wurde. Das Licht entzog seinem ohnehin blass gewordenen Gesicht jeden Rest von Farbe. Er wandte den Kopf, als Shane hereinkam, und hob müde die Hand.
    „ Wie geht’s, Tony“, sagte Shane, auch wenn er wusste, dass es nicht die richtigen Worte waren. Aber die richtigen Worte gab es für eine solche Situation sowieso nicht.
    „ Die verdammten Ärzte geben mir höchstens noch vier Wochen.“ Costarelli lachte, was mehr wie ein Röcheln klang. „Da lebst du mehr als ein halbes Jahrhundert so vor dich hin, und dann heißt es: höchstens noch vier Wochen!“
    „Ärzte können sich irren...“, versuchte es Shane.
    Costarelli musterte Shane und schluckte mühsam. „Hast du’s gefunden?“
    „Ja.“ Shane stellte den Karton auf den Nachttisch. Costarelli schloss für einen Moment die Augen.
    „Du hast also alles gelesen?“, fragte er, als er sie wieder öffnete.
    Shane zog sich einen Stuhl heran. „Warum hast du es nicht früher gesagt?“
    Costarelli hob die Hand ein wenig und ließ sie wieder auf die Bettdecke fallen.
    „Ich hab das alles so v iele Jahre vergessen wollen. Manchmal, da hab ich’s tatsächlich vergessen.“ Er schluckte wieder. Sein Adamsapfel bewegte sich schwerfällig von unten nach oben und wieder hinunter. „Jetzt werd sogar ich sentimental …“
    „Jane war deine Frau?“
    „Verdammt , ja, die beste Frau …“ Costarelli hustete und wischte sich über die Augen. „Glaub mir, ich hab’ im Leben alles versiebt, was man versieben kann. Dabei wollte ich alles richtig und gut machen, wollte, dass alle stolz auf mich sind.“
    „ Die Leute sind stolz auf dich. Du hast eine Menge Verbrecher gefasst.“
    Von draußen drang die Sirene eines Krankenwagens herein. Shane zögerte. „Deine Tochter …“ Er brach ab.
    „… wurde nie gefunden.“ Costarelli drehte den Kopf auf die andere Seite und murmelte: „Ich hab noch nicht mal mehr Lust auf `ne Zigarette.“
    Auf dem Gang näherten sich Schritte und entfernten sich wieder.
    „Als du damals McNulty gekriegt hast“, begann Costarelli und sah ihn wieder an. „Hab ich kurz überlegt, rüber zu kommen und ihn wegen Mary-Jane zu fragen.“
    Shane begriff nicht. „Wieso?“
    Costarelli atmete langsam ein und aus. „Er hat damals oben auf Bathurst Island gelebt. Als Mary-Jane verschwand, war er
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