Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spurlos

Spurlos

Titel: Spurlos
Autoren: Manuela Martini
Vom Netzwerk:
sollte er auch tun?
    Endlich glaubte er in Horkays Augen eine Spur von Angst zu erkennen.
    „Ich war 1976 dreizehn Jahre alt!“
    „Wir wissen doch alle, Mister Horkay, dass es mehr Kinder gibt, die töten, als man denkt.“
    „Mister Horkay ...“ Jim Truong schob seinen Oberkörper näher an den Tisch, „antworten Sie nicht mehr!“
    Horkay sah den Anwalt noch nicht einmal an. „Ich habe keine Probleme mit den Fragen, Mister Truong.“
    Der Anwalt stöhnte, wischte sich mit einem benutzten Papiertaschentuch den Schweiß von der Oberlippe und sah auf seine Uhr. Es klopfte, und Vickys Gesicht tauchte in der offenen Tür auf. Sie hielt eine Videokassette in der Hand, beugte sich zu Shane hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: „Er war im Perlenladen. Und er hat Jeannie eine Kette umgelegt.“
    Sie legte die Kassette auf den Tisch, und Shane dankte ihr mit einem Kopfnicken.
    An Horkays Stirn klebten Haarsträhnen.
    „ Mister Horkay, wissen Sie eigentlich, wie viel eine Perlenkette kostet?“
    „Ungefähr .“
    „Wie viel verdienen Sie?“, fragte Shane weiter.
    „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht, Detective. Oder sind Sie auch noch von der Steuerfahndung?“
    „ Dreitausend Exemplare wurden letztes Jahr von Ihrem neuesten Buch verkauft. Nicht gerade ein Beststeller.“
    „Ich habe nie behauptet, Bestsellerautor zu sein.“
    „ Können Sie davon leben, Mister Horkay?“ Shane betrachtete die schwere Uhr, das sorgfältig gebügelte, teuer aussehende dunkelblaue Hemd, erinnerte sich an die feinen Lederschuhe – Horkay wirkte wie jemand, der Luxus durchaus zu schätzen weiß.
    „Sie sehen ja, dass ich es kann.“ Horkay verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Was haben Sie damit bezweckt, als Sie im Perlenladen Jeannie Reid eine zehntausend Dollar teure Perlenkette angelegt haben?“
    Schlagartig wich jegliche Farbe aus Horkays Gesicht.
    „Detective, ich möchte sofort mit meinem Mandanten reden!“, sagte Jim Truong aufgebracht.
    „Mister Horkay“, sagte Shane unbeeindruckt . „Sie sind vorläufig festgenommen.“
    Augenblicklich erhob sich Jim Truong. „Ich muss die weitere Vorgehensweise mit meiner Auftraggeberin besprechen.“ An der Tür drehte er sich noch einmal um und zog etwas aus seiner Aktentasche. „Alison hatte mir übrigens was für Sie mitgegeben. Malaysia, eine Woche.“ Er steckte das Ticket wieder ein und ging. Horkay starrte ihm bestürzt nach. „Kann ich ein Glas Wasser haben?“ Von seiner Arroganz und Selbstsicherheit war nichts mehr übrig geblieben.
    Shane nickte und verließ den Raum.

9
    Sie hörte Todd in der Küche hantieren. Tamara bückte sich, legte den Koffer um und klappte die Schnallen auf. Zum Vorschein kamen eine Taschenlampe, eine altmodische grünliche Regenjacke, eine ebenso altmodische Plastikflasche, eine Packung billiger Kekse … die typische Notausrüstung.
    Enttäuscht machte sie den Koffer wieder zu. Warum nur wollte sie unbedingt etwas Belastendes finden?
    Sie ließ ihren Blick über die Gegenstände im Zimmer wandern. War es nicht wirklich nur ein ungelüftetes, mit altem Plunder eingerichtetes Zimmer eines Toten? Draußen schlug im Wind ein Ast ans Dach. Sie erschrak kurz und sah zur Tür. Todd sollte sie nicht hier finden. Sie wollte schon hinausgehen, als ihr Blick auf die Kommode fiel. Mit dem polierten dunklen Holz, den glänzenden, schweren Messinggriffen, der kerzenartigen Lampe und dem Spitzentuch, auf dem die gerahmten Fotos standen, wirkte sie wie eine Truhe, in der man uralte Familiengeheimnisse einschloss. Wie oft hatte sie in ihrer Berufslaufbahn schon Kommoden durchsucht? Schon einige Male war sie dabei auf Revolver, Messer, kleine Tüten mit Kokain oder Heroin, Geldbündel oder gar die Tatwaffe gestoßen, versteckt zwischen Nachthemden, Unterwäsche oder Socken. Aber nie hatte sie dabei einen solchen Schauder gespürt wie jetzt, als ihre Hand den Messinggriff berührte.
    Sie zog die Schublade auf. Sauber gefaltete Tischtücher lagen darin gestapelt, und sie fragte sich, ob Todd sie seit dem Tod seines Vaters jemals benutzt hatte? Nirgendwo in der Wohnung hatte sie einen Tisch mit einer Tischdecke gesehen. Vielleicht hatte er diese Schublade auch all die Jahre gar nicht aufgezogen. Wieder betrachtete sie das Foto, auf dem er so verängstigt – und verschlossen aussah. Ja, sie verstand, warum er diese Schubladen und Schränke und Koffer nicht mehr aufgemacht hatte. Der Ast schlug erneut ans Dach und ihr wurde wieder bewusst, dass sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher