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Sprich nicht darüber

Sprich nicht darüber

Titel: Sprich nicht darüber
Autoren: Graham Lynne
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sah.
    Als Rosie im Bett lag, dämmerte es bereits. Sie versuchte zu verstehen, was Constantin so erschüttert hatte, dass er sich dermaßen betrank. Hatte sie nicht Antons Vertrauen ebenso enttäuscht? Auch sie hatte der Hochzeit nur unter Druck zugestimmt.
    Constantin hatte ja nicht versucht, sie um ihr Erbe zu bringen oder dergleichen. Anton war durch den Kauf von Son Fontanal in finanzielle Schwierigkeiten geraten, aus denen Constantin ihm herausgeholfen hatte. Außerdem würde die Renovierung des alten Anwesens ein Vermögen verschlingen. Doch alles das erwähnte Constantin mit keinem Wort. Antons Erbe zu sein, hatte sich als ziemlich undankbare Aufgabe entpuppt, doch Constantin hatte sich mit keinem Wort beschwert, im Gegenteil.
    Warum also hatte er zum Alkohol gegriffen? Aus schlechtem Gewissen, dass er Antons Tochter nicht mit mehr Höflichkeit und Respekt begegnet war? Oder bei dem niederschmetternden Gedanken daran, dass er, wenn er den letzten Willen seines Vormunds erfüllte, sein Leben lang an Rosie gekettet sein würde?
    Rosie stand auf. Sie zog Jeans und ein frisches T-Shirt an und bürstete sich das Haar. Ihr gemietetes Motorrad stand unter der Treppe im Hof, sie hatte es seit ihrer Ankunft nicht mehr benutzt. Vielleicht würde eine kleine Tour durch die Berge ihren Kopf wieder klar machen.
    Es war noch früh am Morgen, als Rosie unter duftenden Pinien Halt machte und den mitgebrachten Snack aß. Die Dosenlimonade und das Sandwich mit Schinken und Tomaten stillten ihren Appetit, aber das leere Gefühl im Innern blieb. Krampfhaft redete sie sich ein, dass das Leben auch ohne Constantin lebenswert war. Was hatten sie überhaupt gemeinsam?
    Er war ein dominierender, arroganter, arbeitswütiger Geschäftsmann. Er war reich und gebildet, er kam aus gutem Haus. Er sah viel besser aus als sie. Die Frauen liefen ihm nach, und Rosie war nicht der Typ für solche Wettrennen. Sie hatte ihren Stolz und noch dazu soeben eine schmerzliche Abfuhr erlitten.
    Sollte Constantin irgendwelche Gefühle für sie empfunden haben, so hatte sie die gründlich abgetötet. Warum nun noch seinen guten Eigenschaften nachtrauern? Seinem unbeschreiblichen Charme, seiner Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft? Seiner Ehrlichkeit? Es war aus und vorbei.
    Vor dem Anwesen parkte eine große schwarze Limousine. Rosie fuhr daran vorbei in den Hof und stieg ab. Als sie ihren Helm abnahm, kam Constantin die Stufen herunter. In seinem hellen Zweireiher sah er phantastisch aus wie immer. Rosies Herz wurde schwer.
    Sein dunkler Blick hielt sie fest. “Ist es dir nicht in den Sinn gekommen, dass ich mir Sorgen machen könnte, wenn du wegfährst?”
    Rosie erwiderte seinen Blick. “Nein, tut mir Leid.”
    “Woher hast du überhaupt das Motorrad?”
    “Ich habe es für vierzehn Tage gemietet.”
    “Ich dachte, es gehörte einem der Arbeiter. Dimitris wird es zurückbringen. Ich will nicht, dass du auf diesen Straßen damit herumfährst”, teilte Constantin ihr mit. Er wirkte blasser als sonst.
    Sie erwiderte nichts, stumm sah er sie an. Das Schweigen zwischen ihnen war wie eine Mauer. Und plötzlich begriff Rosie. Er hatte gedacht, sie hätte ihn endgültig verlassen, brachte es aber nicht über die Lippen.
    “Thespina ist gerade angekommen”, sagte er.
    Rosie wurde blass. “Oh nein!”
    “Ich denke, wir müssen ihr die Wahrheit sagen”, setzte er entschlossen hinzu. “Alles andere wäre unfair.” Constantin nahm ihre Hand und führte sie die Treppe hinauf in die Halle. Rosie wollte sich ihm entwinden. “Sag du es ihr!”
    “Nein, das stehen wir zusammen durch, paidi mou.” Hand in Hand betraten sie den Wohnraum.
    Thespina erhob sich und begrüßte Rosie mit einem Lächeln. “Komm, setz dich zu mir.” Einladend wies sie auf den Platz neben sich.
    Ein Mädchen brachte ein Kaffeetablett und goss die Tassen ein. Constantin trat an den Kamin und begann eine etwas angestrengte Unterhaltung. Als alle ihre Tassen hatten, ging das Mädchen.
    Thespina blickte Rosie an und sagte sanft: “Ich finde, das Versteckspiel hat lange genug gedauert. Es war zwar rührend, wie Constantin sich anstrengte, um mich zu schonen – schon als Kind konnte er mich nicht belügen –, aber ich hätte längst reden müssen.”
    Constantin zuckte zusammen, sodass sein Kaffee in die Untertasse schwappte. “Willst du damit andeuten, dass …”
    “Dass ich seit fast achtzehn Jahren von Rosies Existenz weiß”, bestätigte Thespina. “Du musst verzeihen,
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