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Sprengkraft

Sprengkraft

Titel: Sprengkraft
Autoren: Horst Eckert
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in einer Sitzung. Möglicherweise hatte er das Büro gewechselt und jemand anders würde rangehen. Moritz ließ es weiter klingeln.

    Er überlegte, dass er eine Reportage über den Streit um den geplanten Moscheebau anbieten könnte. Einen Stimmungsbericht aus seinem Viertel, inklusive dem beigefarbenen Flugblattverteiler. Moritz könnte auch den Puffbesitzer und seine Mädels interviewen. Den Umgang der Deutschen mit ihrer muslimischen Minderheit erforschen, das Auseinanderdriften der Kulturen.

    Endlich hob jemand ab.

    Es war Wilke. »Schön, mal von dir zu hören. Wie geht’s, Moritz?«

    »Man schlägt sich so durch.«

    »Und die Familie?«

    »Wir haben uns getrennt.«

    »Tut mir leid für dich.«

    »Petra lebt jetzt in München und arbeitet als Pressesprecherin der bayerischen Grünen. Gretchen ist mit ihr gegangen. Wir sehen uns nur selten, aber wir schreiben uns ab und zu.«

    »Briefe?«

    »Ja, warum nicht?«

    »Und die zwei leben in München? « Wilke war in Köln aufgewachsen und gehörte zu den Menschen, die sich nicht vorstellen konnten, dass jemand die Domstadt freiwillig verließ.

    »Wie steht’s beim Kurier? «, erkundigte sich Moritz.

    »Frag nicht! Sei froh, dass du nicht mehr bei uns malochen musst. Es wird von Tag zu Tag schlimmer!«

    »Ich dachte, die Zeitung hätte sich wirtschaftlich berappelt?«

    »Hat sie auch, aber Hagedorn, der neue Chefredakteur, pflegt einen Ton wie bei der Bundeswehr. Führerprinzip, die leitenden Positionen sind nur noch mit Jasagern besetzt. Und an jedem Ende wird gespart. Nicht einmal in der Länge unterscheiden sich unsere Artikel noch von der Zeitung mit den dicken Schlagzeilen. Lesefreundlichkeit nennt das der Chef. Leider gibt ihm der Erfolg auch noch recht. Der Verlag fährt Profite ein wie nie zuvor, seit die Redaktion verschlankt wurde und sich das Anzeigengeschäft erholt hat.«

    Verschlankt – als sei ich ein Stück überschüssiges Fett, das man absaugt, dachte Moritz.

    »Warte«, sagte Wilke, »ich mach mal die Tür zu.«

    Moritz hörte Geräusche, dann war der Kollege wieder in der Leitung.

    »Du, ich beneide dich noch heute um deine Abfindung, und wenn ich keine Kinder hätte, wäre ich dir schon längst ins freie Leben gefolgt. Hier lugt einem ständig ein Controller über die Schulter und stoppt die Zeit, die man braucht, um einen Artikel zu schreiben. Recherchen dürfen nichts kosten, weder Zeit noch Geld. Und freie Autoren einzusetzen, hat uns der Chef ebenfalls verboten.«

    Damit ist die Frage beantwortet, die ich noch nicht gestellt habe, dachte Moritz.

    »Neulich wollte eine junge Kollegin allen Ernstes wissen, wie wir denn recherchiert hätten, als es Google noch nicht gab. Dass wir früher nicht bloß PR-Meldungen abgeschrieben haben, sondern auch einmal nachhakten und die andere Seite anhörten, kann sich heute keiner mehr vorstellen. Aber die Kollegin wird mit ihrem angegoogelten Halbwissen Karriere machen, da bin ich mir sicher.«

    »Du übertreibst.«

    »Kein bisschen.« Wilke senkte die Stimme. »Sei froh, dass du den Absprung geschafft hast, Lemmi! Weißt du, wer jetzt die Buchbesprechungen und die Konzertkritiken im Kulturteil macht? Der Redaktionshospitant. Weil er nichts kostet. Beim Sport und im Lokalen verhält es sich genauso.«

    Moritz hatte das Klagen des Kollegen satt. Es kam ihm vor, als wollte Wilke nur das schlechte Gewissen desjenigen überspielen, der nicht gefeuert worden war. Der Kerl beschwerte sich auf hohem Niveau.

    »Ich muss jetzt zur Konferenz«, sagte Wilke rasch. »Aber wir sollten unbedingt mal ein Kölsch miteinander trinken.«

    »Ja, unbedingt«, antwortete Moritz und legte auf. Der Kollege hatte ihn nicht einmal nach dem Grund seines Anrufs gefragt. Moritz war froh darüber.

    Aber womöglich würde er sich bald nicht einmal mehr einen Abend im Brauhaus leisten können.

6.

    Ein deutsches Pärchen stand vor Rafi und konnte sich nicht entscheiden. »Wolfsbarsch oder Dorade?«, fragte der Typ seine Begleiterin.

    »Dorade hatten wir letztes Mal«, antwortete sie.

    »Wie du meinst.«

    Ein Weichei wie alle deutschen Männer, dachte Rafi.

    »Also zwei Wolfsbarsche, bitte«, sagte die Frau und lächelte ihn an, statt den Blick zu senken.

    Eine Schlampe wie alle deutschen Frauen.

    Rafi nahm die Fische aus der Auslage, packte sie auf die Edelstahlplatte und schlitzte sie auf.

    Von der Kasse rief sein Vater auf Berberisch herüber: »Gut ausnehmen und gründlich schuppen!«

    Rafi wusste,
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