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Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Titel: Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)
Autoren: Joachim Kaiser
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deutsch, dass die Musik nicht nur aus hübschen Melodien besteht, sondern durch sie eine Geschichte, ein Roman, ein Bildungsroman erzählt wird und die Themen eine Entwicklung, ein Werden haben. Und darauf dürfen wir – warum auch nicht? – durchaus ein bisschen stolz sein.

Genie und Wahnsinn
    Kann es sein, dass Robert Schumanns
Musik erst im 21. Jahrhundert richtig
verstanden wird?
     
    Hinter dieser Frage verbirgt sich ein alter Streit. Bevor ich ihn zu schlichten versuche, muss ich gestehen, dass ich ein Schumann-Liebhaber bin. In dem berühmten Fragebogen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nannte ich auf die Frage nach meinem Lieblingskomponisten nicht Beethoven, Bach, Mozart oder Wagner – allesamt große Komponisten. Ich antwortete: Robert Schumann. Warum? Weil mir seine schwungvolle, poetische, junge oder jünglingshafte Art so gut gefällt.
    Immer wieder wird das Spätwerk dieses deutschen Komponisten für gleichermaßen bedeutend wie sein Frühwerk erklärt. Ich dagegen bin der Ansicht, dass Schumann mit seinen frühen Kompositionen seine späten übertrifft. Im Jahr 1840, als er glücklich verliebt und verheiratet war, brachen 140 romantische Lieder aus ihm hervor. Sie gehören zu den schönsten Schöpfungen, die es in diesem Genre überhaupt gibt. Nicht zu vergessen seine frühe Klaviermusik von opus 1 bis opus 23 und das große Klavierkonzert in a-Moll.
    Später, so scheint es mir, kam Schumann sein genialer Schwung abhanden, es schlichen sich Töne des Biedermeierlichen ein, etwa in dem Oratorium Der Rose Pilgerfahrt. Nach Fertigstellung seines letzten
Violinkonzerts rieten ihm sogar gute Freunde davon ab, das Werk zu veröffentlichen. Heute wird es gelegentlich gespielt. Yehudi Menuhin hat sich für das Stück eingesetzt, Gidon Kremer auch. Sie behaupten, es sei sehr schön. Das mag stimmen. Mit Schumanns Klavier- oder Cellokonzert lässt es sich dennoch nicht vergleichen.
    Von dem deutschen Komponistenkollegen Felix Draeseke stammt der hinterlistige Satz, Schumann begann als Genie und endete als Talent. Ganz so streng sehe ich das nicht. Auch der späte Schumann hat eine Reihe wunderbarer Kompositionen hinterlassen, aber das Einzigartige und Unvergleichliche, das Geniale, das kommt nur in seinem Frühwerk zum Ausdruck. Dieses Frühwerk war übrigens durchaus bedroht, denn der junge Robert Schumann ist keineswegs ein Spießer gewesen, er hat ganz vergnügt gelebt. Als Student trank er gerne Champagner, und als er mit der Clara längst verbandelt war, warf er auch anderen Mädchen begehrliche Blicke zu. Der Carnaval ist nicht für Clara Schumann geschrieben, sondern für eine Dame – die Tochter eines zweifelhaften böhmischen Barons –, mit der er kurze Zeit verlobt gewesen war und dem gelösten Verhältnis mit diesem Stück ein musikalisches Denkmal setzte ...
    Zu meinen Lieblingsstücken zählt der geniale, fast unspielbare letzte Satz aus dem Klavierstück Kreisleriana. Dieser Satz kommt ganz leise und mit einem seltsam verschobenen Rhythmus daher. Der Musikwissenschaftler Dieter Schnebel spricht in diesem Zusammenhang
von »Verrückungen«. Als ich das einmal von Vladimir Horowitz spielen hörte, hatte ich das Gefühl, der Pianist würde nah am Wahnsinn vorbeischrammen: Jemand, der imstande ist, diese Unregelmäßigkeit der Bässe hören zu lassen und alles andere trotzdem gleichmäßig im Rhythmus zu spielen, der müsse, dachte ich, eigentlich schizophren sein. Horowitz war nie schizophren. Schumanns Leben aber endete nach einem Selbstmordversuch tatsächlich im Wahnsinn.

Die Königsdisziplin
    Wie viel Substanz steckt in Streichquartetten?
     
    Das Streichquartett, diese bedeutendste Gattung der Kammermusik, orientiert sich an den menschlichen Stimmen. Erste Violine, zweite Violine, Bratsche und Cello entsprechen Sopran, Alt, Tenor und Bass. Es kommt ohne koloristische Instrumentationseffekte aus, ohne Trommeln und Pauken, ohne donnernde Blechbatterien und zwitschernde Piccoloflöten. Komponisten, die Streichquartette schreiben, können nichts vortäuschen. Sie müssen sich ganz auf die musikalische Essenz konzentrieren. Oder, wie der japanische Dirigent Seiji Ozawa sagt: »Um zum Kern eines Komponisten vorzudringen, ist das Streichquartett der beste Weg.«
     
    Das Streichquartett war eine Wiener Familienangelegenheit. Joseph Haydn hat es erfunden und zugleich in seiner Form vollendet. Sogar Mozart, der nur schwer ein Genie neben oder gar über sich ertrug, bewunderte Haydns
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