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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter
Autoren: R Ford
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und dann wurde er mit einem Fernlaster in den mittleren Westen zurückgebracht. Es zeigt sich, daß es nicht seine Schwester war, die ich an jenem Abend auf dem Bahnsteig in Haddam sah, sondern irgendeine andere Frau. Walters Schwester, Joyce Ellen, ist eine kräftig gebaute, brillentragende Frau, die man sich gut in einem Kirchenchor vorstellen könnte, eine Frau, die nie geheiratet hat und männlich wirkende Anzüge und Krawatten trägt, eine Person, wie man sie sich angenehmer nicht vorstellen kann, und sie hat nie Teddy Roosevelts Leben ) gelesen. Sie und ich saßen lange und freundschaftlich in einem Café in New York zusammen und unterhielten uns über den Brief, den Walter hinterlassen hatte, und über Walter im allgemeinen. Joyce sagte, er sei für sie und ihre ganze Familie so etwas wie ein Rätsel gewesen, und er habe schon länger keine engere Verbindung mehr zu ihnen gehabt. Erst in der letzten Woche seines Lebens, sagte sie, habe Walter mehrmals angerufen; er habe von der Jagd gesprochen und von der Möglichkeit, zurückzukommen und ein Geschäft zu eröffnen, und er habe sogar von mir gesprochen und mich als seinen besten Freund bezeichnet. Joyce sagte, sie habe den Eindruck gehabt, daß ihr Bruder sich sehr merkwürdig verhalte, und als dann schließlich der Anruf kam, habe sie das gar nicht so sehr überrascht. »Solche Dinge kann man im voraus spüren«, sagte sie (ich bin da allerdings anderer Meinung). Sie sagte, sie hoffe, Yolanda werde nicht zu der Beerdigung kommen, und ich habe den Verdacht, daß ihr der Wunsch erfüllt wurde.
    Walters Tod, das kann man wahrscheinlich sagen, hat auf mich genau die Wirkung gehabt, die der Tod beabsichtigt: Er hat mich an meine Verantwortung für eine etwas größere Welt erinnert. Allerdings passierte das in einer Zeit, als ich wenig Lust hatte, darüber nachzudenken, und ich finde es auch jetzt noch schwer, mich damit auseinanderzusetzen, und bin mir nicht so ganz sicher, was ich anders machen kann.
    Walters Geschichte von einer unehelichen und inzwischen in Florida lebenden Tochter war, wie sich jetzt herausstellt, frei erfunden, nichts als ein liebenswürdiger Scherz. Er wußte, glaube ich, daß ich nie riskieren würde, ihn im Stich zu lassen, und er hatte recht. Ich flog nach Sarasota, schnüffelte eine ganze Menge herum, rief mehrmals in Coshocton an, um vielleicht über das Geburtenregister etwas herauszufinden. Ich rief Joyce Ellen an, engagierte sogar einen Privatdetektiv, der mich eine Stange Geld kostete, stöberte aber nichts und niemanden auf. Und ich kam zu dem Schluß, daß die falsche Spur, die er legte, nur ein allerletzter Versuch war, sich einer totalen Enthüllung zu entziehen. Eine Finte wie im Roman. Und ich bewundere Walter dafür, denn für mich zeugt eine solche Geste von einem Gespür für Heimlichkeiten, etwas, was sonst in Walters Leben fehlte, so sehr er sich darum bemühte. Ich glaube, Walter könnte etwas Wichtiges herausbekommen haben, bevor er zum letzten Mal den Fernseher einschaltete, obwohl ich nicht versuchen will, für ihn zu sprechen. Aber man kann ohne weiteres glauben, daß einige persönliche Fragen ihre Antwort finden – das liegt einfach in der Natur der Sache –, während man darauf wartet, daß der Vorhang fällt.
    Daß ich nach Florida gekommen bin, hat mir gutgetan, und so bin ich einige Monate geblieben – wir haben jetzt September –, aber ich glaube nicht, daß ich für immer hierbleiben werde. Ans untere Ende des Landes zu kommen, beschwört ein angenehmes Gefühl herauf, eine tropische Gewißheit, daß einem hier etwas zustoßen wird. Überall scheinen hier bescheidene Hoffnungen zu wuchern. Ich habe herausgefunden, daß die Leute in Florida sind, um von irgendwelchen Dingen wegzukommen, um das Leben voll auszuschöpfen, und fast jeder, den ich kennenlerne, ist von einer Festigkeit und Geradheit, die ich sympathisch finde. Keiner versucht, den anderen zu betrügen, wie meine Mutter immer sagte und wie es auch in allen Berichten heißt. Viele Leute kommen aus Michigan hierher, und die blauen Nummernschilder an ihren Pkws und Kleinlastern treten stark in Erscheinung. Es ist nicht wie New Jersey, aber es ist nicht übel.
    Die Zeit seit letztem April ist rasch vergangen, fast im Zeitraffertempo und in Technicolor – viel schneller, als sie sonst für mich vergeht –, und vielleicht ist das der große Vorzug Floridas und nicht das warme Wetter: Die Zeit vergeht schnell und in einer vollkommen zeitlosen Art.
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