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Splitternest

Titel: Splitternest
Autoren: Markolf Hoffmann
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Mond würde ein letztes Mal über Imris aufgehen, und die Stadt würde zu einer letzten Zuflucht werden. Der Rest von Aroc aber sollte vergehen, und ewiger Winter würde auf der Insel Einzug halten.
    Auch diese Fassung war der Tathril-Kirche verhaßt, ließ sie doch ihren Gründer in einem schlechten Licht erscheinen. Die Priester glaubten, zwischen den Zeilen die Handschrift des Blenders zu erkennen, Durta Slargins ewigem Widersacher. Sie warfen den Wahrsagern vor, der verbotenen Sekte der Mondjünger anzugehören, die ihre Lügen in ganz Sithar verbreiteten. Doch da die Wahrsager den Lauf der Gezeiten kannten und ihre Voraussagen für den Fischfang unerlässlich waren, vermied die Kirche einen offenen Kampf. Sie untersagte es aber, diese wohl dunkelste Fassung der Legende zu verbreiten. Und doch wurde immer wieder in den Straßen von Imris geflüstert, dass Suul bald erwachen werde und nur der Mond die Menschen beschützen könne.
     
    Der Himmel war ein Schlachtfeld der Farben; pechschwarze Wolken mischten sich mit schmutzigen Schleiern, Lichtstreifen färbten die Gewitterfront rot. Schneeflocken stoben herab, und der Wind trieb sein Spiel mit ihnen, wirbelte sie über das Wasser, jagte sie durch die Bucht, um sie an den Felsen zerschellen zu lassen.
    So plötzlich der Sturm auch gekommen war, er war nur ein Vorbote der Katastrophe, die über Imris hereinbrach. Durch den Wind gellten Schreie, drang Waffengeklirr. Am Hafen schlugen Flammen aus den Speichertürmen. Zwischen den Eisnadeln in der Bucht trieben zertrümmerte Boote; die Ruderer waren zur Seite gesackt, ihre Körper von Pfeilen durchbohrt. Imris wand sich im Todeskampf; ein Schreien und Wimmern, Lärmen und Leiden. Erschüttert blickten die Angehörigen des Rats auf ihre Stadt. Um ihre Stiefel floss Blut. Es rann noch immer aus dem Kreidefelsen, kroch über das Gestein, bahnte sich seinen Weg in die Stadt.
    »Dies ist das Ende«, flüsterte der Bootsmeister. »Wenn die Goldéi die Neun Pforten erreichen, wird die Hafengarde keinen Widerstand mehr leisten … zermürbt vom Lumpenpack! Wie können diese Hunde es wagen, uns in der Stunde der Not anzugreifen? Am Ende werden sie ja doch tot in der Bucht treiben. Wen unsere Schwerter verschonen, den töten die Echsen.«
    Tenmor Imer, der Münzherr der Kaufleute, blickte ihn wütend an. »Dieser Tumult bedeutet nichts! Wir lassen die Ritter der Neun Pforten zum Hafen vorrücken. Sie werden kurzen Prozess mit ihnen machen.« Er zog seine Stirn in Falten. »Wir decken sie mit Pfeilen ein. Erst die Dorfbewohner, dann die Echsen. Imris ist so leicht nicht einzunehmen!«
    »Seid Ihr denn blind, Tenmor?« Der Bootsmeister wies auf das Blut am Boden. »Suul erwacht! Wir werden alle sterben, ob wir nun fliehen oder kämpfen. Suul wird Rache nehmen, und die Goldéi sind seine Diener …«
    »Hört auf mit Suul«, fluchte Tenmor. »Suul ist eine Legende! Die Quelle ist es, die uns in den Rücken fällt! Bislang haben die Goldéi nicht die Neun Pforten erreicht. Wir können noch siegen!«
    »Nein! Wir müssen uns ergeben!« Dem Küstenbewahrer war das Grauen ins Gesicht geschrieben. »Die Felsen bluten … seht Ihr nicht die Zeichen? Lasst uns die Goldéi in Frieden empfangen. Sie sind die neuen Herren von Aroc.«
    Das Blut zu ihren Füßen begann zu dampfen. Sie spürten die schwärende Wärme, und der süße Geruch raubte ihnen den Atem. Sie taumelten vom Steinbecken zurück, stolperten durch die Pfütze aus Blut zu den Treppen, die zur Stadt hinabführten. Über ihnen tobte der Wind und ließ ihre Mäntel flattern. Am Hafen hatten nun die ersten Boote angelegt. Die Dorfbewohner stürmten den Platz, gingen mit Knüppeln und Dolchen, Fischerhaken und Netzen auf die Hafengarde los. Bald schwamm der Marktplatz im Blut, so wie der Kreidefelsen. Ein Schauplatz glich dem anderen.
    Am Ende der Bucht aber zog Nebel auf … ein weißer Nebel, der langsam auf Imris zukroch.
    »Dort kommen sie!« Tenmor Imer fuhr zu den Rittern herum. »Zieht eure Männer endlich von den Tempeln ab und schickt sie zum Hafen. Tötet die Aufrührer, und dann haltet euch für die Goldéi bereit.«
    »Das könnt Ihr nicht allein entscheiden«, fauchte der Bootsmeister. »Der Rat muss mit einer Stimme sprechen!«
    »Wir haben schon zu viel Zeit mit Reden vergeudet! Wenn Ihr fliehen wollt, tut es … aber ich werde kämpfen!«
    Der Bootsmeister wollte antworten, doch eine helle Stimme kam ihm zuvor.
    »Niemand muss kämpfen.«
    Eine Gruppe von acht
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