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Splitter

Splitter

Titel: Splitter
Autoren: Sebastian Fitzek
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räusperte sich, dann sagte er kaum hörbar: »Der Marc Lucas, der seine schwangere Frau getötet hat?«
    Marc erstarrte. Von einer Sekunde auf die andere war es ihm nicht mehr möglich, weiterzugehen. Die feuchte Herbstluft war zu einer undurchlässigen Glaswand geworden.
    Er drehte sich zu dem Wagen, dessen Hintertür langsam aufschwang. Ein sanfter elektronischer Warnton summte rhythmisch auf, wie wenn sich jemand nicht angeschnallt hatte.
    »Was wollen Sie von mir?«, fragte Marc, als er seine Stimme wieder gefunden hatte. Er klang jetzt fast so heiser wie der Unbekannte im Wagen.
    »Sandra und das Baby sind jetzt wie lange tot? Sechs Wochen?«
    Marc stiegen die Tränen in die Augen. »Warum tun Sie mir das an?«
    »Kommen Sie, steigen Sie ein.«
    Der Alte lächelte gutmütig und klopfte auf den Sitz neben sich.
    »Ich bringe Sie zu einem Ort, an dem Sie das alles ungeschehen machen können.«
5. Kapitel
    Durch die getönten Scheiben des Maybachs wirkten die lautlos an ihnen vorbeifliegenden Häuserwände wie die unwirklichen Aufbauten einer Filmkulisse. Im schallgeschützten Inneren dieser Luxuslimousine war es schwer vorstellbar, dass hinter den schmutzigen Fassaden da draußen echte Menschen lebten. Oder dass die Passanten am Straßenrand keine Statisten waren. Weder der Rentner, der die Abfalleimer nach Pfandflaschen durchwühlte, noch die Gruppe Schulschwänzer, die gerade den Einkaufswagen einer Obdachlosen umkippen wollten. Natürlich gab es auch unauffällige Subjekte, die sich ihren Weg durch den einsetzenden Regen kämpften. Aber selbst die schienen in einer verlorenen Parallelwelt zu leben, aus der Marc entkommen war, seitdem er hier im Wagen des Unbekannten Platz genommen hatte.
    »Wer sind Sie?«, fragte er und beugte sich nach vorn. Sofort passten sich die hydraulischen Luftkissen des ergonomisch geformten Ledersitzes seiner neuen Körperhaltung an. Statt einer Antwort reichte ihm der alte Mann eine Visitenkarte. Sie war ungewöhnlich dick, etwa so wie ein doppelt gefalteter Geldschein. Marc hätte darauf gewettet, dass sie nach einem Edelholz duftete, wenn er an ihr riechen würde.
    »Können Sie sich nicht an mich erinnern?«, fragte der Unbekannte und lächelte wieder gutmütig.
    »Professor Patrick Bleibtreu ?«, las Marc und zeichnete nachdenklich die schwarze Reliefprägung auf dem Leinenpapier mit der Fingerspitze nach. »Kennen wir uns?«
    »Sie haben meinem Institut eine E-Mail geschickt, etwa vor zwei Wochen.«
    »Moment mal …« Marc drehte die Visitenkarte um und erkannte das Logo der Klinik. Ein talentierter Graphiker hatte die Initialen des Professors zu einer dreidimensionalen, seitwärtsliegenden Acht verwoben, dem Zeichen für Unendlichkeit.
    »Diese Anzeige … die im Spiegel, die war von Ihnen?« Bleibtreu nickte kurz, öffnete die Armlehne neben sich und nahm eine Zeitschrift heraus. »Wir inserieren im Focus, Stern und Spiegel. Ich denke, Sie haben sich hierauf gemeldet.«
    Marc nickte, als der Mann ihm die aufgeschlagene Zeitschrift reichte. Es war reiner Zufall gewesen, dass ihm die Annonce beim Durchblättern überhaupt aufgefallen war. Normalerweise las er keine Nachrichtenmagazine und schon gar keine Werbung. Doch seitdem er zweimal die Woche zum Verbandswechsel musste, hatte er viel Zeit mit den meist veralteten Illustrierten verbringen dürfen, die im Wartebereich der Klinik seines Schwiegervaters auslagen. »Lernen zu vergessen«, wiederholte er die Überschrift, die ihn schon damals magnetisch angezogen hatte.
    Sie haben ein schweres Trauma erlitten und wollen es aus Ihrer Erinnerung löschen? Dann wenden Sie sich an uns und schicken Sie uns eine E-Mail. Die Psychiatrische Privatklinik Bleibtreu sucht Teilnehmer für einen Feldversuch unter medizinischer Aufsicht.
    »Weshalb haben Sie nicht auf unsere Rückrufe reagiert?«, wollte der Professor wissen.
    Marc rieb sich kurz die Ohren, die langsam mit dem vertrauten brennenden Schmerz auftauten. Daher also rührten die zahlreichen Anrufe, die er in den letzten Tagen nicht beantwortet hatte.
    »Ich gehe nie an unterdrückte Rufnummern«, sagte er. »Und, ehrlich gesagt, steige ich auch nie zu Fremden ins Auto.«
    »Wieso haben Sie eben eine Ausnahme gemacht?«
    »Ist trockener.«
    Marc lehnte sich wieder zurück und deutete auf das nasse Seitenfenster. Der Fahrtwind zog die dicken Regentropfen quer über die wasserabweisende Oberfläche der Scheibe. »Kümmert sich bei Ihnen der Chef immer persönlich um neue
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