Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spion der Liebe

Spion der Liebe

Titel: Spion der Liebe
Autoren: Susan Johnson
Vom Netzwerk:
sollen im Erdgeschoß den Blick senken und nur sprechen, wenn man Ihnen Fragen stellt?«
    »Ja, Ma’am.« Serena ballte die Hände, um nicht ins Gesicht der hochnäsigen Frau zu schlagen, die vor ihr saß.
    »Trotzdem erzählt mir der liebe Neville, Sie hätten ihn heute morgen angestarrt und ihm auch noch Komplimente über seine attraktive Erscheinung gemacht. Und das am Tag des Herrn! Das dulde ich nicht. Sie werden Ihre Verführungskünste nicht an meinem unschuldigen jungen Sohn erproben. Haben Sie mich verstanden, Blythe?« Ihr Doppelkinn bebte vor Empörung.
    »Ja, Ma’am.« Serena fand es sinnlos, sich vor Mrs. Totham zu rechtfertigen, die ihren verlogenen Sohn anbetete.
    Natürlich hatte er diese alberne Geschichte nur erfunden, um sich an Serena zu rächen. Seit einem Monat verfolgte er sie mit seinen Annäherungsversuchen, nachdem man ihn aus der Universität von Cambridge hinausgeworfen hatte. »Ich kann meine Mutter jederzeit veranlassen, Sie zu feuern«, hatte er ihr an diesem Morgen gedroht. Als sie hinuntergegangen war, um neue Federkiele fürs Schulzimmer zu holen, hatte er sie mit seinem schwammigen, dicken Körper an die Wand des Korridors gedrückt. »Oder ich kann Ihnen ein angenehmes, stilvolles Leben bieten«, fügte er hinzu und blies ihr seine Alkoholfahne vom Vorabend ins Gesicht. »Wenn Sie meinen beiden dummen Schwestern Unterricht geben, verschwenden Sie nur Ihre Zeit.«
    Sie hatte Unverständnis geheuchelt und war unter seinem Arm hindurchgeschlüpft. Am liebsten hätte sie ihr Knie zwischen seine Schenkel gerammt. Aber dann wäre sie auf der Straße gelandet, und sie brauchte ihren Gouvernantenposten. Mit jedem Tag wurde er zudringlicher.
    Während sie nun in demütiger Haltung vor ihrer Arbeitgeberin stand, fragte sie sich, wie sie den lüsternen Sohn des Hauses abwehren sollte.
    »Mag sich die Aristokratie auch noch so schändlich benehmen«, fuhr Mrs. Totham in tugendhaftem Ton fort, »in unserer bürgerlichen Geschäftswelt herrschen strengere Moralgesetze, und ich verbiete Ihnen, meinen Sohn auf so skandalöse Weise zu umgarnen.« An diese boshaften Anspielungen auf ihre Familie war Serena längst gewöhnt. Mrs. Totham erinnerte sie regelmäßig an ihren Vater, den Viscount Amberson, der kurz vor seinem Tod sein gesamtes Vermögen und den Familiensitz Fallwood verspielt hatte. »Nun weise ich Sie zum letztenmal auf Ihre Position hin, Blythe. Man soll Dienstboten sehen, aber nicht hören.«
    »Ja, Ma’am«, wiederholte Serena. Ihr unterwürfiger Gehorsam war beschämend, aber notwendig. In den vier gräßlichen Jahren seit dem Tod des verwitweten Viscount hatte sie nur einen einzigen Lichtblick erlebt – als Julia Castelli und ihr Vater letzten Herbst in dieses Haus gekommen waren, um Mr. Tothams Gemälde zu katalogisieren. Liebenswürdig hatten sie Serena ihre Freundschaft angeboten.
    »Von jetzt an werden Sie stets im Schulzimmer bleiben, bis Sie gerufen werden.« Mrs. Tothams kleine, in Fleischfalten vergrabene Augen musterten Serena von Kopf bis Fuß, mit einem kalten Basiliskenblick. »Dann werden Sie meinen lieben Jungen nicht mehr in Versuchung führen. Gehen Sie wieder nach oben.« Mit einer knappen Geste wurde Serena entlassen, ehe die Gemahlin des reichen Gießereibesitzers ihre heiße Schokolade schlürfte.
    Als Serena das Zimmer verließ, erschauerte sie – ob vor Nervosität oder Erschöpfung, wußte sie nicht. Wie lange mußte sie dieses erniedrigende Leben, den ständigen Tadel und Nevilles Attacken noch ertragen? In ihren Augen brannten Tränen. Sie blieb im dunklen Korridor stehen, der vom Frühstückszimmer zur Dienstbotentreppe führte, holte tief Atem und unterdrückte ein Schluchzen.
    Nein, ich werde nicht zusammenbrechen und in Selbstmitleid versinken, ermahnte sie sich zum tausendstenmal, seit sie die Stellung bei den Tothams angetreten hatte. Vier Jahre hatte sie bereits überstanden, und eine Zeitlang würde sie noch durchhalten. Bis zum Juli wollte sie genug Geld sparen, um ihr Kunststudium in Florenz zu bezahlen. Mit Hilfe des Reisegelds, das Julia ihr neulich geschickt hatte, konnte sie ihren Traum bald verwirklichen und die Tothams verlassen.
    Nur noch fünf Monate, sagte sie sich. Dieser Gedanke ermunterte sie, und sie stieg die beiden langen Treppenfluchten zum Schulzimmer hinauf.
    »Wo waren Sie so lange?« klagte Hannah Totham, sobald Serena den Raum betrat. »Und Sie haben gar keine Federn!«
    »Maman sagt, sie ist faul und zu nichts nütze!«
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher