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Spion auf der Flucht

Spion auf der Flucht

Titel: Spion auf der Flucht
Autoren: Stefan Wolf
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über die unbefestigte Straße. Bei Regen war das
sicherlich eine Schlamm-Pampa. Aber geregnet hatte es seit Ende Juli nicht
mehr. Das Gras auf der großen Kuhweide zu seiner Rechten war schon mehr gelb
als grün; und die Kühe kauten so langsam, als wäre ihnen übel von den
knack-trocknen Halmen.
    Beim Wasserwagen, an dessen
Saufvorrichtung mit Klappe sich die Rindviecher selbst bedienen konnten,
herrschte Gedränge. Die Kühe standen sozusagen Schlange.
    Tim blickte über die Schulter zurück.
    Erst jetzt bog Klößchen von der
Grünaukener Dorfstraße ab, nahm die sandige Strecke unter die Reifen und ließ
sich Zeit.
    Tim erreichte den Waldsaumweg.
    Blassmüllers Adresse gab keine Rätsel
auf.
    Hier stand nur ein einziges Gebäude:
ein flacher, ziemlich großer Bau — halb Bungalow, halb Baracke.
    Auf der Ostseite hatte es große
Fenster. Blassmüller brauchte Licht, wenn er seine Porträts malte.
    Der Garten hatte keinen Zaun, denn es
gab ja keinen Nachbarn, gegen den man sich verteidigen mußte.
    Ein Feld von Nachtschattengewächsen
wogte im Sommerwind. Lila, blaßrot und weiß waren die Blüten. Riesige
Sonnenblumen standen in einer Reihe.
    Beim Haus rührte sich nichts.
    Tim sprang vom Rad, lehnte es an einen
Pfosten und sah sich um.
    Weit und breit keine Menschenseele. Nur
Schmetterlinge flatterten umher. Kühe hatten sich träge auf die Weide
gestreckt. Bienen summten über den Blüten.
    Er lief zur Tür.
    Nach einer Klingel sah er sich
vergeblich um. Aber ein kupferner Löwenkopf, dem ein beweglicher Ring aus dem
Rachen hing, war am Eingang angebracht. Mit dem Ring konnte man ans Holz
hämmern.
    Tim hämmerte vernehmlich.
    Es dauerte eine Weile, bis hinter der
Tür sich etwas rührte.
    „Ja? Wer ist da?“ fragte eine
Männerstimme.
    „Peter Carsten. Tim genannt. Dr.
Lattmann hat mich angekündigt wegen der verdächtigen Person, die hier
rumschleicht. Aber ich sehe niemanden. Ist der Kerl weg?“
    „Moment.“
    Detlef Blassmüller öffnete.
    Den habe ich mir anders vorgestellt,
dachte Tim. Sieht aus, als könnte er sich selbst seiner Haut wehren. Aber weiß
man’s? Ist ja oft so, daß in den klotzigsten Brocken ein Hasenherz schlägt.
    Der Kunstmaler war nicht viel über
mittelgroß, aber gebaut wie ein Freistilringer. Er trug ein knapp sitzendes
Polohemd und abgewetzte Cordjeans. Auf dem starken Hals saß ein runder Schädel
mit kleinen Augen. Das flachsblonde Haar war höchstens sechs Millimeter lang,
aber dicht wie ein Kaninchenpelz.

    Beim Lächeln zeigte er vier oder fünf
Goldkronen.
    „Tag, Tim.“
    „Tag, Herr Blassmüller. Alles in
Ordnung?“
    „In bester Ordnung.“
    „Aber es war der Typ, der Sie bedroht
hat?“
    „Ich bin sicher, er war’s. Aber er hat
sich im Wald verkrümelt.“
    Tim drehte den Kopf zur Seite. Über das
Nachtschattenfeld konnte er in den Wald sehen. Die Sonne zeichnete ein schräges
Gitter zwischen die Fichten. Sie sahen noch leidlich gesund aus. Aber wie es
tatsächlich um sie stand, erkannte nur der Fachmann. Wie allerorten griff auch
hier das Waldsterben um sich.
    „Wollen Sie die Polizei verständigen,
falls er zurück kommt?“
    „Das wird wohl nicht nötig sein“,
meinte Blassmüller.
    Tim hörte Klößchen.
    Sein dicker Freund keuchte, hielt,
stellte sein Rad ab und stolperte heran. Er grüßte und machte sich bekannt.
    „War falscher Alarm“, sagte Tim. „Wir
können wieder abrauschen.“
    „Puh!“ meinte Klößchen. „Mir klebt die
Zunge am Gaumensegel. Oder wie sagt man? So ein Durst! So ein Durst!“
    Blassmüller zögerte ziemlich lange. Gastfreundschaft
war offenbar nicht sein Bier.
    „Wenn du ein Glas Wasser willst?“
meinte er schließlich ohne Herzlichkeit.
    „Das wäre die Rettung“, rief Klößchen,
„kalter Kakao zwar noch besser, aber wer hat den schon! Will ich also nicht
unbescheiden sein.“
    „Außerdem habe ich versprochen, Gaby
anzurufen“, sagte Tim. „Kann ich mal Ihr Telefon benutzen, Herr Blassmüller?“
    „Gern.“
    Er ging voran.
    In der Eingangsdiele hingen sieben oder
acht Gemälde.
    Die Selbstporträts! dachte Tim.
    Die Selbstporträts?
    „Dort ist die Küche“, sagte
Blassmüller. „Nimm dir ein Glas, Willi.“
    Durch eine offene Tür konnte man in ein
großes Atelier sehen, wo Staffeleien aufgestellt waren und ein Halbdutzend
unfertiger Selbstporträts herumstanden.
    Das Telefon stand im Wohnraum. Der war
mit alten Polstermöbeln ausgestopft wie eine Weihnachtsgans mit Äpfeln.
    Blassmüller marschierte
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