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Spiel der Angst (German Edition)

Spiel der Angst (German Edition)

Titel: Spiel der Angst (German Edition)
Autoren: Veit Etzold
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ließ sich das allerdings nicht immer. Doch hier mit Ryan war das anders. Hier fühlte sie sich sicher. Und zu Hause.
    »Wir können, wie gesagt, ja schon mal vorfeiern«, sagte Ryan und kniff ein Auge zu. »Damit du auf andere Gedanken kommst und dich nicht immer wegen des ersten Septembers sorgst.«
    Er legte ihr die Hände auf die Schultern.
    »Es ist vorbei. Der Typ ist tot. Und zwar seit mehr als einem Jahr!«
    Sie nickte und küsste ihn. »Du hast wahrscheinlich recht. Ich bin halt eine blöde, hysterische Kuh.« Dann rückte sie näher an ihn heran. »Was meinst du mit gekühltem Sekt?«
    »Was ich damit meine?«
    Sie nickte.
    »Dass es welchen gibt.« Er grinste. »Bin gleich wieder da.«
    Nach zwei Minuten kam er wieder ins Zimmer, in der Hand ein paar Kerzen und eine Flasche gekühlten Sekt mit zwei Plastikbechern. Er stellte die Kerzen ans Fenster und zündete sie an.
    »Es sollte hier doch mal ein bisschen gemütlich werden, oder?« fragte er. »Wir sind jetzt fast ein Jahr hier. Das müssen wir feiern.«
    Emily lächelte. »Dass ein Kerl das sagt, ist interessant. Eigentlich achten ja die Frauen immer mehr auf Gemütlichkeit. Aber du hast recht.« Sie blickte sich um. Er hatte wirklich recht. Eigentlich wollte sie die Woche nutzen, ihr Zimmer ein wenig einzurichten, aber daraus war natürlich nichts geworden.
    »Wo kommt denn der Sekt her?«, wollte sie wissen.
    »Habe ich aufbewahrt«, antwortete Ryan und öffnete den Verschluss. »Für Anlässe wie diesen. Leider …«, er goss den Sekt in die zwei Plastikbecher, »… leider habe ich nur diese Becher auf die Schnelle im Supermarkt gefunden.«
    »Ryan, das ist so süß!« Sie umarmte ihn. »Auf was trinken wir denn?«
    Er überlegte.
    »Auf uns? Oder ist das zu kitschig?«
    »Überhaupt nicht«, entgegnete Emily. »Natürlich auf uns. Auf wen denn sonst?«
    Sie tranken, und Emily spürte eine wohlige Wärme, die im eigentümlichen Kontrast zu dem kalten Sekt stand. Es war einer der Momente, die man als perfekt bezeichnen konnte, obwohl oder vielleicht gerade, weil alles so improvisiert war. Und vielleicht auch gerade deswegen, weil es eigentlich nicht viel zu feiern gab. Doch sie und Ryan waren hier zusammen. Vielleicht reichte das ja schon? Sie setzte sich neben Ryan aufs Bett.
    »So könnte es immer sein«, sagte sie.
    »Wird es auch«, versprach Ryan.
    Sie saß dort, während er sie in den Armen hielt, und spürte den Sekt, der kühl ihre Kehle hinunterlief. Der Sekt, den er noch irgendwo aufgetrieben hatte, die Plastikbecher, die er mit einem verschmitzten Grinsen hervorgeholt hatte, so als wäre es ihm peinlich, nichts Besseres als billigen Schaumwein vom Kiosk und Plastikbecher vom nächsten Supermarkt anbieten zu können. Manchmal, und das fand sie süß, manchmal war er noch so unbeholfen wie am ersten Tag.
    Es war sicher nicht der beste Sekt – genauso wenig wie das Essen in London, das er in der ersten Woche für sie gekocht hatte, nicht das beste gewesen war, das sie je gegessen hatte –, doch manchmal zählte es nicht, was man bekam. Es zählte, wie man es bekam. In diesen Plastikbechern steckte mehr Freundschaft, Hingabe und Liebe als in allen Champagner-Kristallkelchen auf irgendwelchen Partys, zu denen sie ihre Eltern mitgeschleppt hatten.
    Und das war gut so.

6
    TAG 1: SAMSTAG, 1. SEPTEMBER 2012
    Emily und Ryan waren mit Lisa von Little Italy Richtung Battery Park am Südzipfel Manhattans geschlendert. Ihr Ziel war Soho, das genauso hieß wie das Viertel in London und wo man hervorragend, viel und günstig frühstücken konnte.
    Lisa hatte sich überreden lassen, mit ihnen zusammen zu frühstücken, anstatt wie üblich in die Bibliothek zu gehen.
    Vor einer Statue in der Nähe von South Ferry blieben sie stehen.
    »Wisst ihr, wer das ist?«, fragte Lisa.
    Emily las den Namen auf dem Sockel.
    »Amerigo Vespucci.« Sie zuckte die Schultern. »Nie von ihm gehört.«
    »Er muss aber eine bedeutende Persönlichkeit sein«, meinte Ryan. »Sonst würde er kaum hier stehen.«
    »Ist er auch.« Lisa nickte. »Normalerweise ist es ja immer wichtig, der Erste zu sein. Ist im Film auch so. Schnell schlägt immer besser.«
    Alle sahen sie verständnislos an.
    »Wer war der erste Mann auf dem Mond?«, fragte Lisa.
    »Neil Armstrong, wer sonst?« Das war Ryan.
    »Wer war der zweite?«
    Alle zuckten die Schultern.
    »Seht ihr?«, sagte Lisa. »Was ist der Name des höchsten Berges auf dieser Welt?«
    »Einfach«, antwortete Emily. »Der Mount
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