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Spiel der Angst (German Edition)

Spiel der Angst (German Edition)

Titel: Spiel der Angst (German Edition)
Autoren: Veit Etzold
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musste sie die Stimme gehört haben. Die Stimme, von der sie glaubte, dass sie von ihm kam. Dass sie anders klang, irgendwie verzerrt, irgendwie aufgebracht und gar nicht so ruhig, wie sie sonst immer klang, wenn er sie angerufen hatte – das hatte sie in der Aufregung offenbar nicht bemerkt.
    Dann musste sie noch etwas anderes gehört haben. Etwas Lauteres, Gefährlicheres. Die Bahn. Die Bahn, deren fauchender Lärm das Tapsen der Schritte hinter ihr übertönte.
    »Bleib stehen, ich krieg dich! Bleib stehen!«
    Er sah es vor sich, als wäre er es selbst gewesen. Und Emily war nach wie vor im Glauben, dass es sich so abgespielt hatte. Sie musste gespürt haben, wie die Schienen bebten, während sie durch die Dunkelheit nach vorn stürzte, weiter, weiter, dem rasenden Grollen entgegen, eine Mischung aus Donner und Kreischen, das, wenn es erst einmal da wäre, mit absoluter Sicherheit den Tod bringen würde. Den schnellen Tod.
    Auch er hatte es fühlen können, obwohl er nicht dort gewesen war. Die Erde hatte gebebt, als würde sich ein Tsunami nähern, und das blasse Leuchten der Frontlampen der U-Bahn, ein Vorbote ihres sicheren Untergangs, tastete sich mit rasender Geschwindigkeit durch den Gang.
    Das Gesicht ihres Verfolgers war eine Maske des Schmerzes und der Verzweiflung, und das, was er brüllte, konnte sie nicht mehr hören, weil der Lärm der Bahn nun alles erfüllte. Wahrscheinlich hatte sie ihn gesehen. Und er sie. Und davor die gigantische Silhouette der U-Bahn, die die ganze Breite des Tunnels einnahm – ein stählerner Wurm mit der Kraft eines riesigen Hammers, der alles fraß, was sich in dem Tunnel befand.
    Emily war danach in irgendeinem anderen Tunnel verschwunden. Sie hatte überlebt. Und der, der sie verfolgt hatte, war mit einem hässlichen Knirschen zermalmt worden. Es musste so sein. Weil es nicht anders sein konnte.
    Weil es nicht er war.
    Sondern Bill.
    Bill, den Emily schon öfter gesehen hatte. An der Brücke von Vauxhall, als sie fast den Squatter überfahren hatte.
    Bill.
    An dem Shard Building, als sie sich sicher gefragt hatte, wie er da so schnell hingekommen war.
    Bill.
    Und schließlich war er ihr gefolgt.
    Tief in den U-Bahn-Schacht hinein.
    Und das war das größte Geschenk, das er seinem Auftraggeber machen konnte.
    Bill, der gestorben war, damit er, Jonathan, leben konnte.
    Bill, der für die Drogen, die er von ihm bekam, alles tat.
    Bill, der niemals Nein sagte.
    Bill, der ihm so ähnlich sah.
    Wie aus dem Gesicht geschnitten.
    »Besuchen Sie Ihre Lieben in New York?«, hatte die Stewardess im Flugzeug gefragt, als er vor einem Jahr hierher geflogen war.
    Meine Lieben, dachte er. Meine Lieben wissen nicht, dass es mich gibt.
    Meine Lieben, dachte er und dabei besonders an zwei Personen, die er kannte, die er hasste, die er jagte und die er töten würde.
    Meine Lieben glauben, dass ich tot bin.

4
    Wanderer, kommst du nach Sparta. Gedenke derer, die hier liegen. Den Befehlen jener gehorchend.
    Emily saß zusammen mit Lisa in einer Vorlesung. Professor Bayne erzählte vom Untergang vergangener Kulturen, von der Bronzezeit, von der Schlacht der dreihundert Spartaner an den Termophylen Felsen, die den Ansturm des persischen Heeres so lange aufgehalten hatten, bis die griechische Armee Athen evakuieren konnte. Er zeigte das Denkmal der dreihundert Spartaner und das Grabmal des Leonidas, des Anführers der Spartaner. In Stein gemeißelt stand dort auf Griechisch der Gedenkspruch an die dreihundert Gefallenen.
    Wanderer, kommst du nach Sparta. Gedenke derer, die hier liegen. Den Befehlen jener gehorchend.
    »Jene«, erklärte Bayne, »das war das Vaterland, was man auf Römisch patria nannte. Das war Athen. Und das war Sparta. Und es war der Wille, mit einer Armee von dreihundert Kriegern ein Heer von einer Million aufzuhalten.«
    Banye war ein schlanker, etwas blasser Herr in Jeans und einem marineblauen Sakko, der zwischen den Vorlesungen immer unendliche Mengen Kaffee in sich hineinschüttete und meistens mit einem Take-away-Kaffeebecher zu sehen war.
    »Unsere Pfeile werden den Himmel verdunkeln, hatte einer der Perser gesagt«, berichtete Bayne weiter und gestikulierte mit den Händen. »Und wissen Sie, was der Spartaner antwortete?« Er blickte in die Runde.
    »Dann kämpfen wir eben im Schatten«, warf einer der Studenten in der zweiten Reihe ein.
    Bayne nickte. »Richtig. Dieser Spruch stand genau so bei Herodot, viertes Jahrhundert vor Christi. Aber Sie kennen ihn
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