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Spiel der Angst (German Edition)

Spiel der Angst (German Edition)

Titel: Spiel der Angst (German Edition)
Autoren: Veit Etzold
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zugestimmt.
    Die andere war Lisa. Sie hatte braune Augen, einen blonden Pferdeschwanz und stammte aus Deutschland. Vor der Columbia hatte sie an der Humboldt Universität in Berlin studiert und war jetzt ebenfalls mit Emily für Classical Studies eingeschrieben.
    Mit ihren alten Freunden und Freundinnen war Emily nach wie vor in Kontakt. Vorhin hatte sie kurz mit Julia über Skype gesprochen. Julia war ihre beste Freundin und eine Draufgängerin. Ganz anders als Emilys. Und sie hatte miterlebt, wie Emily von dem Irren, der sie für sein Spiel ausgewählt hatte, durch ganz London gejagt worden war. Das hatte sie noch mehr zusammengeschweißt.
    Mit ihrer Mutter telefonierte sie zwar regelmäßig, allerdings war das häufig eine eher lästige Pflicht. Auch wenn in Emilys Leben endlich Normalität eingekehrt war, konnte es ihre Mutter doch nicht lassen, Emily weiter wie ein rohes Ei zu behandeln. Ihre Eltern hatten sie zu Beginn des Jahres besucht, und immer noch war ihre Mum in großer Sorge, dass ihrer Tochter irgendetwas passieren könnte.
    »Schön, dass du dich meldest, mein Kleines«, begrüßte sie Emily bei jedem Gespräch, und an den Schritten hörte Emily, dass ihre Mum beim Telefonieren mal wieder durchs Haus lief und irgendwelche Vasen und Figuren auf den Möbeln zurechtrückte. Es schien ihrer Mum schwerzufallen, mal eine einzige Sache zu machen und nicht alles auf einmal, aber da war Emily ihr nicht ganz unähnlich.
    »Jetzt seid ihr schon ein Jahr da drüben«, sagte sie dann. »Läuft weiterhin alles gut? Wie sind die neuen Studenten? Wie geht es Ryan? Habt ihr noch neue Freundschaften geschlossen? Und wann gehen denn die Vorlesungen des Herbstsemesters los? Musst du dafür nicht noch viel vorbereiten?«
    So oder so ähnlich liefen ihre Telefonate ab.
    Emily verzog dann das Gesicht und beantwortete alle Fragen in der Reihenfolge, wie sie gestellt wurden. Ein wenig kam sie sich vor wie eine Politikerin auf dem Podium. Diesen Leuten wurden auch immer eine ganze Reihe von Fragen gestellt. Am liebsten hätte sie in einem Stil à la »Zu Frage eins … Zu Frage zwei …« geantwortet. Aber so war ihre Mum halt. Sie wollte immer alles auf einmal wissen und am Ende wirklich nur das Beste für Emily. Doch manchmal war gut gemeint das Gegenteil von gut .
    »Was macht Dad?«, fragte Emily. »Geht’s ihm gut?«
    »Der ist sogar mal in London, aber natürlich immer noch nicht zu Hause«, sagte Mum.
    Emily blickte auf die Uhr. Dort musste es fünf Minuten vor Mitternacht sein.
    »Wieder ein Geschäftsessen?« Ihre Mutter lief noch immer irgendwo im Haus herum, jedenfalls klang das so.
    »Ja«, antwortete ihre Mum. »Diesmal mit irgendwelchen Chinesen oder Indern. Ich steige da auch nicht mehr durch. Obwohl, das habe ich ja eigentlich noch nie.«
    »Und Drake?«, fragte sie dann. »Wie geht’s dem?«
    Drake war Emilys Yorkshire Terrier, der sich besonders gern am Kinn kraulen ließ und der Emily allein schon dadurch glücklich machte, wenn er sie anblickte und wenn er über ihr Gesicht leckte, auch wenn das manchmal etwas ekelig war. Dann fühlte sie die Pfoten auf ihren Knien, roch den Geruch seines Fells und hörte das fröhliche Japsen und Gurren, das ab und zu von einem herzlichen Bellen unterbrochen wurde. Zu Weihnachten hatte sie ihn gesehen, und dann hatten ihre Eltern ihn bei ihrem letzten Besuch mitgenommen. Ansonsten war er bei ihren Eltern in London. Das war er auch schon, als sie am King’s College studiert hatte, doch da war sie nur vierzig Minuten und ein U-Bahn-Ticket entfernt gewesen. Nun waren es mehr als sechstausend Kilometer, acht Stunden Flug und sechshundert Dollar für das Ticket, die sie von ihrem Hund trennten.
    »Gut, dem geht es gut«, flötete Mum. »Der hat vorhin, als es noch hell war, im Garten herumgetollt.«
    Meist war es dann so, dass Ryan irgendwann ihr Gespräch unterbrach, weil in den nächsten zwei Minuten irgendein Kurs losging, ein Termin beim Tutor anstand oder etwas anderes, was Emily in ihrer Zerstreutheit schon wieder vergessen hatte. So auch dieses Mal.
    »Mum, ich muss Schluss machen«, sagte sie. »Ryan und ich gehen noch kurz in den Park. Die Luft ist so schön. Und dann müssen wir zur Vorlesung. Die Uni ruft. Grüß Dad und Drake von mir, und wir hören uns dann wieder.«
    »Wie, du willst jetzt noch, um diese Uhrzeit …«
    »Mom, es gibt hier so etwas wie Zeitverschiebung. Wir haben noch sechs Stunden mehr Zeit als ihr.« Manchmal fragte sich Emily, auf welchem
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