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Spiel der Angst (German Edition)

Spiel der Angst (German Edition)

Titel: Spiel der Angst (German Edition)
Autoren: Veit Etzold
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viel machen, weil der Typ zu schlau war.« Emily biss sich auf die Lippen, als sie daran zurückdachte. »Er war überall. Und nirgends. Wie eine, eine … Krankheit.«
    »Und jetzt …?«, fragte Lisa.
    »Jetzt ist er tot.« Emily nickte zur Bestätigung. »Er ist von einer U-Bahn überrollt worden.«
    »Um Gottes willen!« Das hatte Lisa dann doch nicht erwartet.
    Sie schwiegen alle drei eine Weile und schauten nach draußen in die Spätsommersonne und das bunte Treiben vor den Fenstern des Cafés.
    »Was machen wir eigentlich heute Abend vor der Party?«, fragte Ryan nach einer Weile, um die bedrückende Stille zu durchbrechen.
    »Na, uns schön machen, was denn sonst?«, meinte Emily und zwinkerte ihm zu.
    Lisa nickte.
    »Wir könnten noch auf eine Vernissage gehen«, schlug Ryan vor. »Ein Kumpel von Marc hat eine Galerie in der Upper East Side, und da gibt es einen Empfang vorher.«
    Lisa und Emily blickten sich an, so als wollten sie sagen: Warum nicht?
    Emily hatte ohnehin keine klare Meinung dazu. Solange es nicht allzu seltsame, moderne Kunst war, war es ihr sowieso egal, was sie da sah.
    Was sie viel mehr verstörte, war, wie sehr sie das kurze Gespräch über das vergangene Jahr in London mitgenommen hatte.
    Komm schon, sagte Emily zu sich, dieser Wahnsinnige ist tot. Er kann dir nichts mehr tun.
    Doch die Vergangenheit war wie eine Narbe.
    Die Wunde war längst verheilt.
    Doch die Narbe war noch da.

7
    Emily rannte nach Hause.
    Sie hatte mal wieder die Zeit vergessen.
    Sie hatte sich mit Ryan für sieben Uhr in ihrer Wohnung verabredet. Sie blickte auf die Uhr. Schon fünf nach. Sie hatte sich zu lange mit einigen Studentinnen in der Bibliothek verquatscht und war dann noch ein paar Minuten am Hudson River entlanggelaufen. Jetzt, wie so oft, war die Zeit viel schneller vergangen, als sie geplant hatte.
    Unterwegs hatte sie kurz den Flyer der Ausstellung überflogen, bei der sich Ryan und sie gleich mit Lisa und Marc treffen wollten. Und wieder einmal hatte sie sich gewundert, was heutzutage alles so als Kunst bezeichnet wurde.
    Das Nichts ist abstrakt war der Titel der Ausstellung. Da kam sich der Künstler wohl ganz schlau vor.
    Der Künstler war jemand, der schwarze und weiße Leinwände mit Farbe und irgendwelchen Krebsviechern vom Strand beworfen hatte, die dann auf der Leinwand festgetrocknet waren. In einigen Ausstellungen fertigte er diese Bilder auch live vor dem Publikum an. Dabei, so der Katalog, trug er meist nur einen Pullover. Einen Pullover, den er wie eine Hose angezogen hatte.
    Das war New York, dachte Emily. Während sie sich in London schon über den seltsamen Geschmack mancher Leute wunderte, so vermochte New York dabei immer noch einen draufzusetzen.
    »Man muss auffallen in unserer Welt. Sonst ist man tot«, sagte ihr Dad immer.
    Sie rief Ryan an.
    Der Pullover als Hose?, dachte sie noch mal.
    Doch bei Ryan meldete sich nur die Mailbox.
    Verdammt, war er vielleicht schon losgegangen? Oder war er noch zu Hause, hörte über Kopfhörer Musik und deshalb das Handy nicht?
    Sie sprang die vier Treppen zum Wohnheim hinauf und rannte den Korridor entlang.

8
    Sie stürzte in ihr Zimmer. Sie war spät dran, und Ryan würde bestimmt schon warten. Ryan, der sich ohnehin immer gern darüber lustig machte, wie lange Emily im Bad brauchte.
    Sie blieb wie angewurzelt stehen.
    In der Mitte des Raumes sah sie Ryans Klamotten.
    Die Hose. Die Schuhe. Den Pullover.
    Und eine Schirmmütze, die er öfter trug.
    Doch es war nicht Ryan, der die Kleidung trug.
    Es war eine Schaufensterpuppe.
    Die Puppe zeigte mit einer Hand nach draußen. So als wollte sie sagen: Ich bin dann mal weg.
    In der anderen Hand hielt die Puppe einen Zettel.
    Emily riss ihr den Zettel aus der Plastikhand und las mit zitternden Fingern die mit Feder geschriebene Schrift:
    ER IST WEG. ABER ICH BIN ZURÜCK!
    WILLKOMMEN, EMILY, IM SPIEL DER ANGST.
    Alles in Emily sträubte sich dagegen, doch der Gedanke drang bedrohlich in ihr Bewusstsein – schwarz, grausam und unaufhaltsam, wie die U-Bahn vor einem Jahr, die sie fast ins Jenseits befördert hätte.
    Der Irre ist zurück, dachte sie, der Spieler.
    Es war völlig unmöglich. Es konnte nicht sein. Er war tot. Er musste tot sein.
    Doch offenbar war dem nicht so.
    Offenbar lebte er.
    Oder er lebte weiter als Toter.
    Sie griff zum Handy. Wählte Ryans Nummer.
    Es klingelte.
    Sechsmal. Siebenmal. Achtmal. Neunmal.
    Dann die Mailbox.
    »Ryan, wo immer du bist, bitte ruf mich sofort
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