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SPIEGEL E-Book: Gutenbergs neue Galaxis: Vom Glück des digitalen Lesens (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Gutenbergs neue Galaxis: Vom Glück des digitalen Lesens (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Gutenbergs neue Galaxis: Vom Glück des digitalen Lesens (German Edition)
Autoren: Hilmar Schmundt
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besser weg. Sein Gebärdenname besteht aus einer kippelnden Handfläche: Herr Wankelmut.
    Rund 80 000 Gehörlose leben in Deutschland, das ist etwa jeder tausendste Bürger. Sie leben übers ganze Land verstreut, viele haben sich daher mit Familie und Freunden ein eigenes Vokabular zusammengebastelt. Um eine möglichst große Fülle der unkartierten Gesten zu erfassen, tingelte König im um das Jahr 2011 herum mit ihrer stummen Talkshow durch insgesamt zwölf deutsche Städte, von Rostock bis München. Parallel laufen ähnliche Projekte in anderen Ländern, um Vergleiche zu ermöglichen. Die Videomitschnitte sind dabei nur der Startschuss für einen akademischen Marathon. Denn anschließend müssen Linguisten jeden kleinsten Fingerzeig am Rechner ins „Hamburger Notationssystem“ übertragen. Pro Minute Video fallen über 300 Minuten Auswertungszeit an.
    Wenn alles nach Plan läuft, ist der DGS-Korpus im Jahr 2023 fertig. „15 Jahre für ein Wörterbuch, das ist eigentlich nicht viel“, meint König: „Das Projekt der Gebrüder Grimm hat über hundert Jahre gebraucht.“ In Göttingen hatten Jacob und Wilhelm Grimm die Grundüberlegungen für das „Deutsche Wörterbuch“ entwickelt, das die zersplitterte Kulturnation einen sollte. Bald fühlten sie sich geradezu „eingeschneit“ von der „masse der aus allen ecken und ritzen andringenden Wörter“.
    Das Gebärden-Wörterbuch ist die Fortsetzung der Grimmschen Märchen-Sammlung mit anderen Mitteln, wieder so eine Buchmaschine, wie sie Frédéric Kaplan beschreibt. Das vielleicht komplexeste E-Book der Welt fühlt sich an wie ein Computergame. Es funktioniert mit der Spielkonsolensteuerung „Kinect“ von Microsoft, einem Raumsensor, der die Steuerung mit Körperbewegungen ermöglicht.
    Ich stelle mich im Hamburger Institut für Gebärdensprache vor den Computer. Der Kinect-Sensor verfolgt meine Bewegungen, die ich mir vorher habe erklären lassen. Ich forme mit den Händen eine kleine Brücke vor der Brust. Das System versteht: „Brücke“ steht auf dem Monitor, dazu macht ein kleiner bunter Avatar die Gebärdensprach-Geste nach, wieder und wieder. Das sieht etwas albern und unbeholfen aus. Aber Gestencomputer könnten für Gehörlose so folgenreich sein wie die Einführung des phonetischen Alphabets für die Hörenden vor über 3 000 Jahren.
    Noch ist das System ein Prototyp, es beherrscht nur wenige Wörter. Ziel ist ein Aufschreibsystem für Gebärden: interaktiv und vierdimensional, eine „Schrift“ in Raum und Zeit. Nie waren die Lettern so beweglich wie im interaktiven Gesten-Buch. Gutenberg und Otlet wären hellauf begeistert.

Ausblick: Bücherscannen und Flatrate-Lesen
    Mein eigener Lesemaschinenpark läuft keineswegs rund, E-Books sind bislang alles andere als perfekt. Viele E-Books kommen nicht mit Fußnoten klar, die kleinen Zahlen zerschießen den Zeilenfall. Auch Worttrennungen werden oft an beliebiger Stelle vorgenommen. Hin und wieder kaufe ich ein Buch, das sich als Betrug herausstellt: zusammenkopierte Satzfetzen aus der Wikipedia. Dann tausche ich es um. Vielleicht brauchen wir bald so etwas wie Virenschutzprogramme gegen Spambücher. Und gelegentlich schaltet sich mein Lesegerät einfach so ab, um übers Funknetz ein Update herunterzuladen oder es hängt sich grundlos auf. Dann starre ich ein paar Minuten lang auf den eingefrorenen Bildschirm und denke über das Gelesene nach, bis sich das Gerät wieder fängt. Eine Art meditative Zwangspause.
    Manchmal stehe ich vor meinen Regalen mit den alten Büchern, ziehe einen Band heraus und denke mir: Das Werk würde ich gern auch in der Hosentasche dabei haben. Viele Bücher habe ich mir deshalb inzwischen noch einmal als digitale Ausgabe gekauft. Die Autoren und Verlage verdienen so doppelt an mir, teils sogar dreifach, weil ich beim Joggen gerne Hörbücher höre, für die ich dann noch einmal extra zahle.
    Leider ist aber bislang nur ein kleiner Teil aller Bücher elektronisch verfügbar. Auch dafür gibt es eine Lösung. Neuerdings bestelle ich manchmal Bücher, die es nur auf Papier gibt, und lasse sie nach Kalifornien schicken, zum Dienstleister 1dollarscan.com. Dort hackt eine Art Guillotine den Buchrücken ab, dann rauschen die Seiten automatisch durch einen Scanner; pro 100 Seiten kostet der Service einen Dollar. Zwei Wochen nach der Bestellung kann ich das digitale Buch auf mein Lesegerät laden. Die Qualität ist ähnlich miserabel wie bei einem handgemachten Mixtape, aber ich
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