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Spektrum

Spektrum

Titel: Spektrum
Autoren: Sergej Lukianenko
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Sonne aufgeht und nachts das Meer gegen das Ufer brandet. Aber wie kann man all das auf einmal bekommen? Wie kann man alle Weine mit einem einzigen Schluck austrinken und alle Bücher in einem einzigen Augenblick lesen? Wie soll man die Kraft eines Gottes erlangen und sich gleichzeitig die Träume eines Menschen bewahren? Das ist Schinderei, kein Glück! Nach wie vor sitzen wir mit den Kindern im großen Laufstall und sind stolz, wenn wir an jede x-beliebige Rassel herankommen.«
    »Doch auch das ist nicht der entscheidende Grund«, wandte der Schließer ein.
    »Stimmt«, gab Martin zu. »Das ist er nicht. Ich habe mir einfach vorgestellt, wie ich von Planet zu Planet eile … große Taten vollbringe … den Guten helfe und die Schlechten bestrafe … das würde mich natürlich zufrieden stellen. Aber dann kommen neue, kommen andere Allmächtige, Unverwundbare, Unsterbliche … Menschen, Aranker, Geddarn … und eifersüchtig würden wir die letzten normalen intelligenten Wesen behüten, weil das alles ist, was wir haben, die Eitelkeit und das Gefühl, ihnen überlegen zu sein … und dann fangen wir an, vor Sehnsucht die Wände hochzugehen …«
    »Ich glaube, nicht einmal das ist der entscheidende Grund«, meinte der Schließer kopfschüttelnd. »Das stimmt doch, oder?«
    »Gut, dir macht man nichts vor.« Martin grinste. »Auch das ist nicht der entscheidende Grund. Ich habe von Anfang an … na ja, seit Irina mir von der Evolution erzählt hat, von den Katastrophen, mit denen der Stillstand bestraft wurde, habe ich gespürt … dass das nicht sein kann. Dass das auf gar keinen Fall sein kann. Diese Apokalypsen … sind zu intelligent für die blinde Natur und zu blind für eine Meta-Intelligenz. Was gehen uns denn die Naturgesetze an? Ob wir Mammuts jagen, Atombomben abwerfen oder durch Raum und Zeit springen – das ändert rein gar nichts am Universum. Nie werden wir etwas erreichen, das unerreichbar ist. Nebenbei gefragt: Existiert wirklich ein Planet, auf dem die Zahl Pi einen anderen Wert hat?«
    »Hast du in der Schule nicht aufgepasst?«, fragte der Schließer. »Das ist eine Konstante. In unserem Universum kann sie keinen anderen Wert annehmen. Wenn dir das nicht gefällt, entwickle eine neue Mathematik.«
    Martin grinste. »Eben! Soll ich mir also einen Gott vorstellen, der anderen zunächst die Möglichkeit einräumt, sich mit ihm zu messen, und dann diejenigen geißelt, die diesen Schritt wagen? Das wäre kein Gott. Das wäre ein Usurpator, der sich der Sicherheit seines Throns nicht gewiss ist.«
    »Zum Beispiel ein Halbgott von einem Schließer, der das ganze Ausmaß der Allmacht gekostet hat?«, fragte der Schließer. Er nickte. »Ich bitte dich, sie nicht zu verurteilen. Jetzt, da du unsere Geschichte kennst.«
    »Stimmt, ich kenne sie«, sagte Martin. »Ebendeshalb verurteile ich diese Schließer ja nicht … Als ich verstanden habe, dass die ganze letzte Apokalypse euer Werk ist … gerade da bin ich zur Ruhe gekommen. Selbst wenn ich nicht weiß, was dort ist, jenseits des Verstands. Aber es muss etwas ganz anderes sein. Etwas Größeres. Etwas, das keine Sterne abschießt und keine Blitze vom Himmel schleudert.«
    »Ich habe dir ja schon gesagt, Götter brechen keine Brücken ab, dafür gibt es Menschen«, sagte der Schließer. »Irgendwann werde auch ich wissen wollen, was es dort gibt. Wie es weitergeht. Der Wunsch wird überhand nehmen, und folglich werde ich meine Unsterblichkeit einbüßen. Aber noch habe ich Tausende von Jahren vor mir. Und wenn ich nicht ermüde, sogar Millionen.«
    »Jahrtausende, Jahrmillionen … was ist das schon im Vergleich mit der Ewigkeit?« Martin erhob sich. »Darf ich auf die Erde zurück?«
    »Selbstverständlich. Du kannst gehen, wohin auch immer du willst.« Der Schließer dachte kurz nach und fügte dann feierlich hinzu: »Du brauchst dir übrigens in Zukunft keine Geschichten mehr auszudenken.«
    »Ach, ich habe mich bereits daran gewöhnt, für den Durchlass zu bezahlen«, wehrte Martin ab. »Tschüs.«
    »Bis dann«, sagte der Schließer. »Ja.«
    »Wie, ja?«
    »Du wolltest doch fragen, ob Irina ihre Geschichte schon beendet hat oder nicht? Sie ist vor langer Zeit fertig geworden. Sie wartet im ersten Stock, im Zimmer Nummer sechs.«
    Lächelnd ging Martin hinaus.
     
    Der Tag war heiß, die Sonne strahlte blendend. Martin entfuhr sogar ein erstauntes Krächzen, als er die Station verließ.
    »Bist du sicher, dass wir in Moskau sind und nicht in
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