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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Autoren: Florian Opitz
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diesem richtungweisenden Experiment las, entschied ich mich, nach Namibia zu reisen. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, welche Auswirkung das bedingungslose Grundeinkommen auf die Menschen und auf die Gesellschaft hat. Immerhin ging es hier um nicht weniger als die Grundsatzfrage, ob wir modernen Menschen zu Alternativen zum derzeitigen beschleunigten Raubtierkapitalismus fähig sind.
    Scheinbar sind wir es. Denn die Kritiker des BIG haben glücklicherweise nicht recht behalten. Die Dorfbewohner haben sich nicht auf die faule Haut gelegt, im Gegenteil: Sie haben angefangen, kleine Tante-Emma-Läden oder Bäckereien zu eröffnen, Kleider zu nähen oder Ziegel für ihre Häuser zu brennen und sie zu verkaufen. Sprich: Sie haben sich eine Existenz aufgebaut. Die Kriminalitätsrate in Otjivero sank, mehr Kinder gingen in die Schule, das Schulgeld wurde plötzlich von den meisten bezahlt, Unterernährung und Arbeitslosigkeit sanken. Insgesamt hatte der erste Feldversuch eines bedingungslosen Grundeinkommens also ein sehr positives Ergebnis. Leider hat dies bislang nicht dazu geführt, dass das bedingungslose Grundeinkommen, wie von der Koalition der Befürworter erhofft, nach dem erfolgreichen Feldversuch flächendeckend in Namibia eingeführt worden ist.
    Auch wenn sich die Verhältnisse in einem armen afrikanischen Dorf ganz sicher nicht ohne Weiteres auf eine wohlhabende Industrienation übertragen lassen und auch wenn das bedingungslose Grundeinkommen in Namibia eher als Mittel zur Armutsbekämpfung gesehen wird denn als Weg, die gnadenlose Wettbewerbslogik in unserem Beschleunigungssystem zu bremsen: Eine ebenso allgemeine wie zentrale Erkenntnis hat der Feldversuch von Otjivero dennoch hervorgebracht, und die lässt sich auch auf unsere Gesellschaft übertragen:
    Der Mensch ist seiner Natur nach nicht faul und inaktiv, und er wird es auch nicht werden, wenn durch ein bedingungsloses Grundeinkommen für seine Grundbedürfnisse gesorgt ist. Das weiß man in Bhutan und jetzt auch in Namibia. Im Gegenteil: Die Menschen bekommen ein Stück Menschenwürde zurück und werden dadurch in vielerlei Hinsicht aktiv. Sie nehmen wieder am Wirtschafts- und Sozialleben teil, kümmern sich um Ihre Bildung, Gesundheit und ihre Familien. Wie wäre es also zur Abwechslung mal mit einem positiven Menschenbild?
    International ist Bewegung in die wiederkehrende Debatte um das Thema gekommen. Auch in anderen Ländern, beispielsweise in Brasilien und der Mongolei, wurden inzwischen erste Schritte in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen umgesetzt. In Deutschland prüft der Bundestag gerade eine Online-Petition zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens, die von rund 53 000 Bürgern unterzeichnet wurde. Bereits Ende 2010 gab es eine erste Anhörung. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
    Vielleicht tut sich ja doch noch etwas. Vielleicht lässt sich der lähmende gesellschaftliche Zustand des rasenden Stillstands bei uns und anderswo ja noch irgendwie verhindern oder zumindest wieder aufbrechen. Ideen wie das Bruttonationalglück oder das bedingungslose Grundeinkommen geben jedenfalls ein bisschen Anlass zur Hoffnung. Mit diesem positiven Gefühl falle ich in 12 000 Metern Höhe in den Schlaf. Jetzt freue ich mich auf zu Hause.

Ende – Und nun? Hamsterrad für Fortgeschrittene
    Jetzt bin ich einmal um die Welt gereist, um zu begreifen, warum ich seit Jahren so atemlos durchs Leben rase, warum die Welt um mich herum so rast und warum ich, verdammt nochmal, nie Zeit habe. Ich hatte mir vorgenommen, als gelassener Vater zurückzukehren, der endlich genug Zeit und die Muße haben würde, nachmittagelang mit Sohn Anton auf dem Spielplatz zu vertrödeln. Ganz ohne Ziel und ohne Auftrag. Und ohne schlechtes Gewissen. Ich wollte nicht, dass Anton seinen Vater nur als gestresstes Nervenbündel kennt und in einer Gesellschaft aufwächst, in der man vor lauter Optionen keine wirklichen Erfahrungen mehr machen kann und die nur noch als erbarmungsloser Wettbewerb funktioniert. Und ganz nebenbei wollte ich auf meinem Weg irgendwo noch das richtige Leben, das gute Leben finden. Rückblickend betrachtet, hab ich mir da ganz schön viel vorgenommen, ich weiß.
    Und nun? Kaum bin ich zu Hause, klopft es wieder an: das vertraute Gefühl, mitrennen zu müssen im Hamsterrad. 180 ungelesene Mails in Abwesenheit, in der einen Woche, die ich in Bhutan
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