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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Autoren: Florian Opitz
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Wiedergänger und Sprachrohre in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Und deshalb arbeiten Regierungen verbissen daran, Tempo und Wachstum zu steigern. Nicht im Namen irgendeines Fortschritts, sondern allein, um Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Aber nicht nur die Wirtschaft steht unter dem Diktat von Beschleunigung und Effizienzsteigerung. Längst werden alle gesellschaftlichen Lebensbereiche durchleuchtet und unter dem Deckmäntelchen der Reform dauerreformiert, sprich beschleunigt. Egal ob Politik, Kultur, Bildungs- oder Gesundheitssystem. Die Verkürzung der Schul- und Studienzeiten, die nicht nur erfolgreiche Nachwuchsmanager, sondern auch sehr viele sehr junge Burn-out-Patienten produziert, ist nur ein beredtes Beispiel dafür. Dass diese Fixierung auf Beschleunigung und Wachstum, nicht nur Gewinner hervorbringt, sondern auch ein immer größeres Heer von Ausgebrannten und Zwangsentschleunigten, Hartz-IV-Empfängern, die aus dem Hamsterrad herausgefallen sind, wird als Kollateralschaden in diesem System hingenommen. Einem System, in dem Beschleunigung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gern auch mal mit Weltverbesserung gleichgesetzt wird.
    Aber nicht nur die ökonomische Logik des Kapitalismus treibt die Beschleunigung an, sondern vor allem die Wettbewerbslogik, die diesem System eingebaut ist. Alles, wirklich alles, Güter, Positionen, Karrieren, Freunde und Beziehungen werden in dieser Gesellschaft nach der Logik des Wettbewerbs vergeben. Der allumfassende Wettbewerb ist der wichtigste Antriebsmotor unserer Gesellschaft geworden und infiltriert mittlerweile jeden Lebensbereich. Ein Antriebsmotor, der viele Menschen in ständiger Angst hält, nicht mehr mithalten zu können und demnächst schon abgehängt sein zu können. Wirtschaft und Wettbewerb, also unser Gesellschaftssystem, scheinen also einen erheblichen Anteil daran zu haben, dass die Welt immer schneller und uns die Zeit immer knapper wird.
    Wie schnell sie schon ist, konnte ich während meines Besuchs in der Echtzeitwelt bei Reuters bestaunen. »Zeit ist Geld«: Die subtile Bedeutung und Sprengkraft dieser Tausende Male gehörten und scheinbar abgegriffenen Gleichung war mir vor meiner Suche nach den Ursachen der Beschleunigung überhaupt nicht klar. »Zeit ist Geld« ist nicht nur der Leitsatz des kapitalistischen Systems, in dem wir leben, sondern auch ein Symbol dafür, wie weit sich dieses System von den Bedürfnissen der überwiegenden Mehrzahl der Menschen entfernt hat, ja, den Mensch als zu vernachlässigende Variabel aus dem Gesamtalgorithmus des Spiels einfach herausgestrichen hat.
    Â»Zeit ist Geld« heißt nichts anderes als: Beschleunigung schlägt sich direkt als Profit nieder. Das hat zu einem System geführt, in dem die Zeit in immer kleinere Scheibchen geschnitten wird, damit Finanzgeschäfte in Mikro- und demnächst vielleicht in Nanosekunden abgewickelt werden können. In diesem System ist der Mensch einfach zum Hindernis geworden. Er, dem Tempo und Wachstum eigentlich zugutekommen sollten, ist zur Bremse geworden, hat sich daher vorsichtshalber schon mal selbst abgeschafft. Längst hat der Computer hier die Kontrolle in einem System übernommen, das auf Autopilot läuft und bei dem in den vergangenen drei Jahrzehnten, dem Zeitalter des Neoliberalismus, systematisch alle Bremsen abgebaut worden sind. Fährt ein solches System, das keine Bremsen mehr hat, immer schneller, da funktioniert es nicht anders als ein Auto, dann rast es irgendwann gegen die Wand. Das Dumme ist nur, dass es dann doch wieder wir Menschen sind, die die Suppe auslöffeln dürfen, wie sich zum Beispiel bei der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 vortrefflich beobachten lassen konnte.
    Wir müssen erkennen, dass die Fortschrittsformel »schneller = mehr = besser« nicht mehr gilt. Die Verlierer einer Geschwindigkeitsspirale, die sich verselbständigt hat, sind wir. Oder mit den Worten Hartmut Rosas, des Beschleunigungsforschers: »Wir haben ein sich selbst antreibendes System geschaffen, das sich unaufhörlich weiter beschleunigt.« Die Frage ist nur: Sind wir noch kurz vor oder vielleicht schon mittendrin im Zustand des rasenden Stillstands, in dem zwar alles ständig in Bewegung ist, aber keine Entwicklung mehr stattfindet?
    Ohne Bremsen am System werden jedenfalls nicht nur wir Menschen zu Verlierern, auch »der Planet droht vom Krebsgeschwür der
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