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Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)

Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)

Titel: Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
Autoren: Stefan Baron
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Unter beiden leidet die Welt noch heute.
    Der Ausbruch der Krise verbindet sich in Deutschland mit dem Beinahe-Zusammenbruch der Industriekreditbank ( IKB ) Ende Juli 2007 , die bis dahin als grundsolider, ja geradezu langweiliger Mittelstandsfinanzier betrachtet worden war. Die Zentrale des Instituts, das 1924 zur Abwicklung deutscher Reparationsleistungen aus dem Ersten Weltkrieg gegründet worden war, befand sich bis zur Mitte des vergangenen Jahrzehnts in der Kasernenstraße in Düsseldorf, genau gegenüber dem Verlagshaus der Handelsblatt -Gruppe, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört. Die Bankmitarbeiter, die wir dort ein- und ausgehen sahen und denen wir in der Mittagszeit in den umliegenden Lokalen begegneten, wirkten auf uns Journalisten so bieder, dass niemand auf die Idee kam, in diesem Hause könnte ein großes Rad gedreht werden.
    Dennoch war genau dies der Fall. Direkt vor unsere Nase. Zwar hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Bonn auch nichts gemerkt, aber das macht die Sache nicht besser. Ich gräme mich noch heute darüber, dass wir nicht entdeckten, was in dem Rundbau auf der anderen Straßenseite vor sich ging und wie wir uns von Äußerlichkeiten und Klischees täuschen ließen.
    Schon im Februar 2004 hatte das Fachmagazin Risk in einem dreiseitigen Artikel mit der Überschrift »The Great German Structured Credit Experiment« die Warnflagge gehisst: »Der konservative Mittelstandsfinanzier IKB «, so die Zeitschrift, »hat sich in Deutschlands größten Anleger für strukturierte Kreditprodukte verwandelt – mit einer Neigung zu riskanteren Geschäften«. Das hätte eigentlich genügen müssen, um hellhörig zu werden, unsere Nachbarn mit anderen Augen zu betrachten, sie und die ganze Branche stärker zu hinterfragen.
    Auch dem Jahresabschluss und Lagebericht 2006 / 2007 der Bank selbst war zu entnehmen, welches Risiko sie eingegangen war. Man musste nur genau hinschauen. »In dem Posten ›Andere Verpflichtungen‹ sind Kreditzusagen über insgesamt 8 , 1 Milliarden Euro Gegenwert an Spezialgesellschaften enthalten«, heißt es dort auf Seite 57 . Das Eigenkapital der Düsseldorfer dagegen: ganze 1 , 2 Milliarden Euro.
    Als langjähriger Wirtschaftsjournalist habe ich mich später in der Krise, als ein Erdbeben nach dem anderen das Finanzsystem erschüttert und es fast zum Einstürzen bringt, immer wieder gefragt, wie so vielen Wirtschaftsmedien rund um die Welt die größte Geschichte des Jahrhunderts durchgehen konnte. Wie wir, von wenigen Ausnahmen abgesehen, als Profession kollektiv so versagen, ja für die gigantische Finanzblase, die sich vor unseren Augen aufblähte, insgesamt »mehr als Cheerleader denn als Bremser« agieren konnten. So sieht es jedenfalls Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz in einem Beitrag zu dem Sammelband »Bad News – How America’s Business Press Missed the Story of the Century«, den Anya Schiffrin von der New Yorker Columbia University herausgegeben hat.
    Lag es vielleicht auch daran, dass die Branche schon seit Jahren in einem tiefgreifenden Strukturwandel steckt und viele Medien in einem teilweise ruinösen Wettbewerb ums nackte Überleben kämpfen müssen? Für gründliche Recherche und entsprechende Urteilsbildung daher vielfach keine Zeit mehr bleibt?
    Wo die Ressourcen fehlen, selbständig Fakten herbeizuschaffen, liegt die Flucht in die schnelle Meinung nahe, die leicht und billig zu produzieren ist, aber ebenso schnell auch wieder vergessen wird. Oder die Verlockung, sich vom Objekt seiner Beobachtung »einbetten« zu lassen, die aber Glaubwürdigkeit kostet. Beides hat schwerwiegende Folgen für die Rationalität und Effizienz unserer Gesellschaft. Demokratie und Marktwirtschaft, Wahlfreiheit und Konsumentenhoheit basieren darauf, dass sich Staatsbürger und Marktteilnehmer ein einigermaßen zutreffendes Bild von der Wirklichkeit machen können.
    Das war in den Jahren vor der Finanzkrise nicht der Fall. Dabei hatte es an Warnzeichen keineswegs gefehlt. Da waren die zunehmenden Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen, allen voran das Riesendefizit der USA und der gigantische Überschuss Chinas; die enormen Kapitalzuflüsse nach Amerika und das billige Geld; das explosive Wachstum des Finanzsektors, speziell von neuartigen, weitgehend intransparenten Kreditinstrumenten und Schattenbanken; die durch Schulden aufgeblähten Bankbilanzen und Staatshaushalte; das schwindende Risikobewusstsein infolge der
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