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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Autoren: Eugen Richter
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Plätze.
    Die einzige aus den Neuwahlen hervorgegangene Dame, die Gattin des Reichskanzlers, hatte ihren Platz in der Mitte der vordersten Reihe eingenommen. Dieselbe, eine stattliche, energisch dreinschauende aber etwas kokett ausgeputzte Dame, folgte der Rede ihres Gatten mit lebhafter Aufmerksamkeit, bald beifällig nickend, bald das mit roten Schleifen geschmückte Lockenhaupt schüttelnd.
    Unter dem Eindruck der Nachrichten von dem großen Milliardendefizit hatte sich offenbar der Regierungspartei eine gewisse Niedergeschlagenheit bemächtigt, während die antisozialdemokratische Opposition, die Freiheitspartei, sich in ihren Kundgebungen sehr munter zeigte. Die Tribünen waren dicht besetzt, namentlich von Frauen, sodass kein Apfel zur Erde fallen konnte. Es herrschte unter den Zuhörern ersichtlich eine aufgeregte Stimmung.
    Tagesordnung: Übersicht über den Volkshaushalt. In der Diskussion, welche sich über die Ursachen des Milliardendefizits entspann, und die ich mich bemühe hier auszugsweise wiederzugeben, ergriff zunächst das Wort
    Der Reichskanzler: Die Tatsache einer Verminderung der Produktionswerte in Deutschland um zwei Drittel, verglichen mit der Produktion vor der großen Umgestaltung der Gesellschaft, soll man nicht beweinen und nicht belachen, sondern zu verstehen trachten. In erster Reihe sind daran Schuld die Feinde unserer sozialisierten Gesellschaft (der Abgeordnete für Hagen, links: 4. Rang! ). Jawohl, Herr Abgeordneter, zur Durchführung der Ordnung im Innern haben wir die Polizeikräfte mehr als verzehnfachen, zur Unterstützung der Polizei zur Verminderung der Auswanderung und Sicherung gegen das Ausland das stehende Heer und die Flotte gegen früher verdoppeln müssen. Sodann hat die Annullierung der Wertpapiere in den sozialdemokratischen Staaten Europas auch für das dort angelegte deutsche Kapital die Zinsansprüche aufgehoben und damit eine Verminderung der Einnahmen herbeigeführt. Unser Absatz im Ausland ist in Folge der Umgestaltung der Gesellschaft in den sozialisierten Staaten und in Folge der Abneigung der übrig gebliebenen Bourgeoisstaaten gegen die sozialdemokratische Produktionsweise ganz außerordentlich zurückgegangen. An diesen Ursachen wird sich in Zukunft nicht viel ändern lassen.
    In zweiter Reihe erwähnte ich als Ursache der Mindererträge in der Produktion die Entbindung der jungen und alten Leute von der Arbeitspflicht. (Hört, hört! links) und die Verkürzung bei Arbeitszeit (Unruhe rechts). Buch das Verbot jeder Akkordarbeit hat offenbar zu einer Verminderung der Produktion beigetragen (Hört, hört! links). In Folge der demoralisierenden Nachwirkungen der früheren Gesellschaft (Oho! links) ist leider das Bewusstsein der Arbeitspflicht als unentbehrliche Grundlage der sozialisierten Gesellschaft noch nicht in solchem Umfange vorhanden (Unruhe rechts), dass wir auf eine Ausdehnung des Maximalarbeitstages bis auf zwölf Stunden, wie wir sie Ihnen vorschlagen wollen, glauben verzichten zu können (Sensation). Außerdem werden wir jedenfalls bis zur Wiederherstellung der Bilanz die Arbeitspflicht für alle Personen vom 14. Lebensjahre bis zum 76. statuieren müssen statt bisher von 21 bis 65. Jahre, (Hört, hört! links! ), wobei wir uns indessen vorbehalten wollen, talentierten jüngeren Personen Erleichterungen zur Ausbildung und altersschwachen Personen Erleichterungen zur Erhaltung ihres Gesundheitszustandes zu gewähren.
    Sodann wird eine vereinfachte und weniger kostspielige Ernährungsweise, als bisher (Unruhe rechts) erheblich beitragen können zur Verminderung unseres Defizits. Neuere sorgfältige Untersuchungen haben nämlich dargetan, dass bei entsprechender Erhöhung der Gemüse- und Kartoffelportionen bei dem Mittagsmahl als Fleischration statt 150 Gramm auch 50 Gramm Fleisch oder Fett pro Kopf ausreichen dürften (Abgeordneter für Hagen: In Plötzensee! ) Präsident: Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, die Zwischenrufe zu Unterlassen. (Beifall rechts! ) Reichskanzler: fortfahrend: Es gibt ja bekanntlich sehr viele ehrenwerte Personen, die Vegetarier meine ich, welche den Fleischgenuss überhaupt nicht mir für entbehrlich, sondern für geradezu schädlich für den menschlichen Organismus betrachten. (Unruhe rechts).
    Vor allem aber trachten wir große Ersparnisse zu erzielen, indem mir in folgerichtigem, weiteren Ausbau der sozialen Gleichheit engere Grenzen ziehen dem individualistischen Belieben und damit dem blinden Walten von Angebot und
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